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Prozesse, Abhängigkeiten, Restriktionen sind
jeweils unternehmensintern als auch unterneh-
mensübergreifend zu untersuchen. So kann die
Analyse der Wertkette nicht am Werktor enden,
sondern muss die Lieferanten und deren Vor-
lieferanten genauso einbeziehen wie auf der
Absatzseite Großhändler, Einzelhändler und
Konsumenten sowie, in beiden Fällen, zwi-
schengeschaltete Akteure, wie z. B. Logistik-
unternehmen. Die Fälle in Abbildung 2 sollen
dies verdeutlichen.
Fall 1:
Wir haben nur einen Lieferanten und
dieser fällt aus. Dieses klassische Single
Sourcing existiert per Vertrag; weil es (in die-
ser Güte) nur einen gibt; weil es faktisch zu
lange dauern würde, einen zweiten aufzubau-
en; usw.
Fall 2:
Unsere beiden Alternativlieferanten A1
und A2 haben für bestimmte Bauteile den-
selben Vorlieferanten B1. Liegt bei diesem der
Ursprung der Störung (z. B. Brand), so ist Liefe-
rant A2 doch keine Alternative.
Fall 3:
Wir haben zwei verschiedene Lieferan-
ten mit jeweils unterschiedlichen Vorlieferanten
(B1 und B2); diese jedoch sitzen in derselben
Region. Im Falle eines Erdbebens fallen beide
aus und unsere Versorgung ist gestört (z. B.
Erdbeben in Norditalien oder Fukushima).
Fall 4:
Es besteht derselbe Transportweg von
alternativen (Vor-)Lieferanten (vgl. lahmgelegter
Flugverkehr durch den Ausbruch des Eyjafjalla-
jökull im April 2010).
Fall 5:
Unser Lieferant ist auch Lieferant für un-
seren Konkurrenten und zieht diesen in der ein-
geschränkten Lieferfähigkeit vor (Fall Ericsson
4
).
6. Objekte
In dieser Vorstufe zur Identifizierung alle Kritika-
litäten mit hohem Bedrohungspotential wird mit
einem internen sowie externen Scan das Unter-
nehmen mitsamt seinem relevanten Umfeld auf
Störpotentiale abgetastet. Dazu kann ein struk-
turiertes Vorgehen folgende Untersuchungsob-
jekte durchleuchten.
5
·
Prozesse
·
Potentiale
·
Personen
·
Produkte
·
Partner
(Lieferanten und Vorlieferanten,
Lohnfertiger, Absatzmittler, Kunden,
kooperierende Unternehmen, Kapitalgeber,
Institute, andere Stakeholder)
·
Systeme
und
Strukturen
(z. B. Umwelten,
Märkte, IT, Beziehungen)
Diese können noch ergänzt werden um:
·
Plagiatoren
(Anbieter, Vertreiber und ggf.
Konsumenten von Imitaten) und Feinde
(Cyber-Attacke, Industriespionage, Erpresser)
·
Publikum
(Staat, Anwohner, Medien,
pressure groups)
Diese Elemente liefern Anhaltspunkte für die
vermutlich wirklich kritischen Geschäftsprozes-
se und helfen, diese herauszufiltern.
7. Identifizierung möglicher Großstörungen
Die Identifizierung erfolgt mittels
dreierlei An-
sätzen
, die miteinander kombinierbar sind:
a)
Systematisches Durchgehen
aller mögli-
chen, kritischen Prozesse und Potentiale in-
nerhalb und außerhalb der Unternehmung
(s. o., Punkt 6.)
b) Mit Hilfe von
kreativ-logischen Methoden
wie z. B. Fragenkatalogen, Simulations-
spielen, Szenarien oder Brainstorming nach
der Art „Was wäre wenn…?“, z. B. durch
solche Fragen:
·
Was wäre, wenn Standort XY ausfällt bzw.
nur noch zu 70% produziert?
·
Was passiert, wenn Hauptprozesse
unterbrochen werden?
·
Wie hoch wäre die schlimmste Beeinträch-
tigung?
·
Was wären die schlimmsten Auswirkungen?
·
Wie reagiert der Kunde auf …?
·
Wie reagiert die Öffentlichkeit auf…? usw.
c) Außerdem sollten
Erfahrungen aus bishe-
rigen Störungen
einfließen und diese hin-
terfragt und auf andere Situationen übertra-
gen werden. Falls frühere Störungen relativ
gut gemeistert wurden, sollte man sie trotz-
dem einbeziehen: Beim nächsten Mal könn-
ten sie durchaus anders verlaufen und evtl.
schweren Schaden anrichten!
Mit der Identifizierung der kritischen Geschäfts-
prozesse endet diese Phase. Als Ergebnis sollte
eine überschaubare Anzahl möglicher Großstö-
rungen mit vermutet enormem Schadenspoten-
tial vorliegen, die im nächsten Schritt analysiert
werden.
Phase 2: Business-Impact-Analyse
Diese 2. Phase ist das
Kernelement
im BC-
Prozess. Die zuvor ermittelten Großstörungen
werden in der Business-Impact-Analyse (BIA;
dt.: Folgeschadenabschätzung
6
) strukturiert
analysiert.
Bei der Schadensermittlung sind zunächst die
direkten Schäden
der Störung selbst zu be-
denken, also z. B. bei einem Brand die zerstör-
te Maschine, verbrannte Materialien und die
unterbrochene Produktion als
Primärschäden
.
Dazu kommen als
Sekundärschäden
die
durchs Löschwasser verdorbenen Produkte,
Aufräumkosten oder Kosten durch Nichtarbeit.
Nachgelagert könnten
Tertiärschäden
z. B.
durch Imageverschlechterung, Abwandern von
Abb. 2: Störungen in der Supply Chain
CM September / Oktober 2015