CONTROLLER Magazin 5/2015 - page 42

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Identifikation und Bewertung
von Risiken
Das frühzeitige Erkennen möglicher Gefahren
ist die Grundvoraussetzung für ein effektives
Risikomanagement und bildet den Ausgangs-
punkt aller nachfolgenden Schritte zur aktiven
Steuerung denkbarer Zielabweichungen. Eine
Vielzahl methodischer Ansätze, inkl. der damit
verbundenen Probleme, ist in der Literatur gut
dokumentiert.
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Wegen der unterschiedlichen
Geschäftsmodelle und verfügbaren organisa-
tionalen Ressourcen wäre die Empfehlung für
einen bestimmten Ansatz wenig erfolgver-
sprechend. Vielmehr sollte jedes Unterneh-
men gemäß der individuellen Situation das für
sich am besten geeignete Instrumentarium
selektieren und Bewertungsintervalle festle-
gen (z. B. halb- oder vierteljährlich). Dies soll-
te insbesondere unter Berücksichtigung des
Reifegrads des etablierten Risikomanage-
mentsystems sowie der angestrebten Aus-
wertungen erfolgen.
Überambitionierte Me-
thoden scheitern in der Praxis häufig an
einer fehlerhaften Anwendung, unzurei-
chender Interpretation der Ergebnisse
oder zu abstrakten Erkenntnissen.
So ist es zum Beispiel sinnvoll, Verteilungsan-
nahmen zu Risikoauswirkungen nur dann
schätzen zu lassen, wenn eine anschließende
Simulation der Gesamtrisikoposition ge-
wünscht ist. Hierfür müssen die Risikoverant-
wortlichen die verwendete Methodik nicht nur
verstehen, sondern fachlich auch in der Lage
sein, solche Annahmen zu treffen. Wenn dies
nicht gegeben ist sollte entweder ein einheitli-
ches Bewertungsschema vorgegeben oder die
für eine Simulation notwendigen Verteilungs-
annahmen nachträglich von einem Experten-
team geschätzt werden. Letzteres bedeutet
zwar eine doppelte Bewertung, deren Auf-
wand jedoch zu vertreten ist, wenn man sich
auf eine Auswahl der größten Risiken (z. B. Top
30) für die Simulation beschränkt. Die Qualität
des Simulationsergebnisses kann so deutlich
erhöht werden, während gleichzeitig die Ein-
schätzungen aller übrigen Risiken unter Ver-
wendung eines einfacheren Ansatzes für die
Steuerung derselben genauso aussagekräftig
sein sollten.
Erstellung eines Risikokatalogs
Zunächst muss jedoch festgelegt werden, mit
welchem Vollständigkeitsanspruch das Risiko-
inventar erhoben werden soll. Eine Identifikati-
on aller Risiken erfordert nicht nur bei der Er-
hebung signifikante Ressourcen, sondern
ebenso bei der anschließenden Auswertung.
Eine
Beschränkung auf die wesentlichen
wirtschaftlichen Risiken ist a priori jedoch
kaum möglich
, da zu deren Erkennung be-
reits eine Bewertung vorliegen muss. Der er-
höhte Ressourcenaufwand einer angestrebten
Vollerhebung ist mit dem Anspruch eines
maßnahmenorientierten Ansatzes umso mehr
zu vertreten, wenn in der Folge das Risikoin-
ventar, unter Rückgriff auf die dezentralen Ver-
antwortlichkeiten, für das operative Maßnah-
menmanagement aktiv genutzt wird. Darüber
hinaus fördern regelmäßige Risikobewertun-
gen das Risikobewusstsein in den einzelnen
Organisationseinheiten. So können anhand ei-
nes vollständigen Risikokatalogs für nahezu
alle Risiken Maßnahmen definiert und fortlau-
fend kontrolliert werden. Ein weiterer Vorteil
besteht darin, dass ein detailliertes Risikoma-
nagement i. d. R. auch die lokalen Bestimmun-
gen zur Dokumentation des Risikomanage-
ments in ausländischen Tochtergesellschaften
erfüllt. Dieser wichtige Aspekt entfällt gänz-
lich, sofern Risiken mit wirtschaftlicher Rele-
vanz ausschließlich auf Konzernebene erho-
ben werden.
Der Erfassung von Frühwarnindikatoren wird in
der Theorie eine hohe Bedeutung zugespro-
chen. In der Praxis ist es jedoch
häufig
schwierig
, mehrere
geeignete Frühwarnin-
dikatoren
für ein Risiko zu identifizieren, fort-
laufend zu überprüfen und vor allem zu inter-
pretieren. Um Ressourcen zu schonen sollte
man sich daher gezielt auf solche Indikatoren
beschränken, die tatsächlich Aussagen über
die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos zu-
lassen – dies dürften in der Praxis jedoch leider
die allerwenigsten Kennzahlen sein.
Da die Implementierung effektiver Maßnahmen
ggf. eine beträchtliche Vorlaufzeit in Anspruch
nimmt, sollte
für jedes Risiko zusätzlich die
mittel-, bzw. langfristig erwartete Ent-
wicklung
erfasst werden. Anhand einer einfa-
chen Trendangabe durch die Verantwortlichen
(z. B. sinkt, konstant und steigt) können so
nicht nur zukünftig wachsende Bedrohungen
frühzeitig erkannt, sondern Geschäftsmodelle
und Prozesse angepasst und Ressourcen zu-
kunftsgerichtet verteilt werden. Diese Überle-
gungen zeigen bereits, dass der Fokus der Ri-
sikomanagementbemühungen im Kern auf der
Implementierung effektiver Maßnahmen liegen
sollte und die Risikobewertung ein Mittel zum
Zweck darstellt.
Risikoanalyse und Reporting
Neben der Weiterentwicklung des Risikoma-
nagementsystems und der Durchsetzung der
Deadlines für die dezentralen Risikobewertun-
gen ist das zentrale Risikomanagement
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dafür
verantwortlich, dem Management sowie den
Kontrollgremien alle benötigten Risikoinforma-
tionen in geeigneter Form und Frequenz sowie
in angemessenem Umfang bereitzustellen.
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Ziel
dabei ist es, die
Qualität der unterneh-
merischen Entscheidungen zu erhöhen
,
indem Unsicherheiten und mögliche Auswir-
kungen auf Planwerte ex ante aufgezeigt wer-
den.
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Darüber hinaus können
Prognosen
verschiedener Zukunftsszenarien
zur Bil-
dung einer realistischen Erwartungshaltung
beitragen.
Wenn wie oben beschrieben das Risikoinven-
tar auf eine vollständige Erhebung abzielt,
müssen zunächst Redundanzen durch das
Autor
Dr. Kay H. Hofmann, MBA
ist als Senior Risk Manager für das weltweite Risikomanage-
ment des HUGO Boss Konzerns zuständig.
E-Mail:
Maßnahmenorientiertes Risikomanagement
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