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MANAGEMENT
_TALENT MANAGEMENT
personalmagazin 06/18
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Wer denkt, das Beispiel von Weidmül-
ler sei repräsentativ für Talent-Manage-
ment-Konzepte, sieht sich getäuscht. Wie
die Unternehmensberatung Kienbaum
jüngst im Rahmen der Studie „Trust in
Talent“ ermittelte, wissen viele Betriebe
nicht, welche Talente künftig für sie
relevant sind. Oft hält man zu starr an
einem eng gefassten Kandidatenkreis
fest, die Konzepte sind von einem bevor-
mundenden Führungsverständnis ge-
prägt. „Statt Talente wie bisher oftmals
üblich bei der Entwicklung auf ein fixes
Ziel an die Hand zu nehmen“, erläutert
Studienautorin Sarah Delahaye, „sollte
man ihnen mehr Visibilität geben und
Freiräume eröffnen, damit sie einen
Wertbeitrag für die Organisation leisten
können.“
Die derzeit in Gang kommende Debat-
te darüber, dass überkommene Talent-
Management-Konzepte oft nicht mehr
zeitgemäß sind und den veränderten
Ansprüchen von Talenten kaum noch
gewachsen sind, kommt für Vordenker
Jäger nicht von ungefähr. Insbesondere
auf die digitale Transformation seien
weder Hochschulen noch Unternehmen
hinreichend vorbereitet. Während Hoch-
schulen ihre Defizite bei der Ausbildung
von digitalen Talenten unbedingt über
die Lehrpläne ausgleichen müssten, wie
Jäger selbstkritisch einräumt, offenbar-
ten auch die Kataloge der betrieblichen
Personalentwicklung eklatante Lücken
bezüglich neuer Führungsansätze, Orga-
nisationsmodelle und neuer Formen der
betrieblichen Kooperation.
Mit ihrer strategischen Personalpla-
nung hinsichtlich Industrie 4.0 und ih-
ren Konzepten für digitale Talente seien
Firmen wie Phoenix Contact, Festo und
eben Weidmüller anderen Unternehmen
daher weit voraus, so Jäger.
Wer heute als Talent gilt
Doch wer ist ein Talent? Ist nicht jeder
auf gewisse Weise talentiert? Bei Kien-
baum hat man lange um eine schlüssige
Definition gerungen. Im betrieblichen
Kontext gehe es vor allem um jene Ta-
lente, die sich „besonders fruchtbar“ für
die Organisation erweisen, erklärt Dela-
haye.
Freilich müsse ein konkreter Bedarf
bestehen, präzisiert Rupert Felder. „Bo-
ris Becker hat im Konzertsaal ebenso we-
nig verloren wie der Kompanieführer in
einer modernen Organisation“, sagt der
Personalleiter der Heidelberger Druck-
maschinen AG. Je kritischer der Bedarf,
umso sträflicher sei es, Talente durch
unzureichende Förderung oder unprofes-
sionelle Führung zu frustrieren. Ein oft
zu beobachtendes Manko: Führungskräf-
ten fehlt der Sinn fürs Ganze. „Sie wollen
ihr bestes Pferd lieber im Stall behalten“,
erklärt Armin Trost, Experte für Talent
Management und Hochschullehrer in
Furtwangen. Deshalb versammeln sich
in den Pools nicht die Besten. Die suchen
sich ihre eigenen Wege.
Führen heißt Talenten zu folgen
Das möchte Wolfgang Runge von vorn-
herein vermeiden. Der Personalleiter
der Hanauer Vakuumschmelze fängt
hinsichtlich Talent Management im Un-
ternehmen bei Null an. Zunächst gelte
es, sagt er, Führungskräfte überhaupt zu
befähigen, sich mit Talenten über Kom-
petenzen und Entwicklungsschritte aus-
zutauschen. Das Ziel sei eine reife Orga-
nisation, die auch zu den Themen Talent
und Entwicklung fruchtbare Dialoge füh-
ren kann. Dazu müssen Vorgesetzte in
eine neue Rolle schlüpfen. Damit Talente
sich gemäß ihres Potenzials fachlich und
persönlich entwickeln können, moderie-
ren sie Prozesse, erklären Zusammen-
hänge und geben grobe Linien vor. Run-
ge: „Gute Vorgesetzte werden dabei auch
von ihren Mitarbeitern lernen.“
Führungskräfte sind nicht mehr die pa-
triarchalen Kümmerer, sondern wandeln
sich zumMentor und Coach auf Augenhö-
he mit ihren Talenten. „Statt an die Hand
genommen und wie beim Babysitting
versorgt zu werden, ergreifen Talente In-
itiative“, so Talent-Management-Experte
Trost. „Sie suchen sich selbst neue He-
rausforderungen, um sich zu entfalten.“
Sie sorgen selbst für Sichtbarkeit und er-
schaffen sich eigene Netzwerke. „Talent
ist jemand, den die anderen als Talent
erkennen. Ihm folgen Menschen auf na-
türliche Weise“, so Trost.
Alnatura stärkt Eigenverantwortung
Auf selbstbewusste Talente, die sich
nicht von oben herab behandeln lassen
wollen, hält auch Joachim Schledt gro-
ße Stücke. Wie der Personalleiter der
Biomarktkette Alnatura erläutert, über-
nehmen Mitarbeiter in seinem Haus für
ihre Entwicklung selbst Verantwortung.
Vorgesetzte müssten dies ermöglichen,
für die entsprechenden Instrumente sor-
ge HR. Jeder zweite Mitarbeiter dränge
nach vorn, so Schledt. „Sie sagen klar,
welche Entwicklungsmaßnahme sie be-
nötigen.“
In keiner anderen Branche könne man
derzeit so schnell Führungsverantwor-
tung übernehmen wie im filialgestützten
Handel. „Eine Alnatura-Mitarbeiterin,
die erst im vergangenen Jahr ihre Ausbil-
dung abgeschlossen hat, ist schon stell-
vertretende Filialleiterin und soll bald
eine neue Münchner Filiale führen“, be-
richtet Schledt – ein Beispiel von vielen.
Wer sich für den raschen Aufstieg emp-
fiehlt, leitet zunächst tageweise Filialen,
ehe die stellvertretende und tatsächliche
Filialleitung folgen. Danach steht ein
Wechsel in eine größere Filiale oder den
Zentralbereich offen.
Führungskräfte sind
nicht mehr die patriar-
chalen Kümmerer, son-
dern wandeln sich zum
Mentor und Coach auf
Augenhöhe mit ihren
Talenten.