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ORGANISATION
_HR-STRATEGIE
personalmagazin 06/18
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in Praxisbeispiel: Der Konzern-
vorstand gibt vor, die Organisati-
on müsse schneller, innovativer
und agiler werden. Dazu will
er eine neue Einheit parallel zum Mut-
terkonzern aufbauen. 200 Talente der
Softwareentwicklung müssen bis zum
Jahresende an Bord sein, als Standort
wird Polen gewählt, wo die Personalkos-
ten günstig scheinen. Bei dieser strategi-
schen Entscheidung saß kein Personaler
mit am Tisch, der darauf hätte hinweisen
können, dass die Talente aufgrund der ak-
tuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt
kaum in dem Zeitraum, in Festanstellung
und mit den erforderlichen Qualifikatio-
nen rekrutiert werden können.
Das Beispiel zeigt eindrücklich: Falls
die Personalabteilung den Rekrutie-
rungsauftrag erst erhält, wenn alles
bereits beschlossene Sache ist, gerät
sie, wie auch der Auftraggeber, in eine
schwierige Lage. Denn die vereinbarte
Strategie kann unter Umständen gar
nicht umgesetzt werden. Verfügte das
Unternehmen über eine gelebte Praxis,
bei der HR bei wichtigen Unternehmen-
sentscheidungen mit am Tisch sitzt,
würden diese brenzlige Lage für alle Be-
teiligten und – noch gravierender – die
potenzielle Gefährdung der Unterneh-
mensstrategie erst gar nicht entstehen.
Was mit Personalstrategie gemeint ist
Personaler und Geschäftsführung ha-
ben oft kein einheitliches Bild, wenn sie
von HR-Strategie, strategischem Perso-
nalmanagement oder People-Strategie
Von
Kerstin Prothmann
und
Jan C. Weilbacher
sprechen. Das führt im Ergebnis oft zu
Enttäuschungen und Missverständnis-
sen. Der erste Schritt im Strategiepro-
zess besteht deshalb immer darin, sich
über den Begriff und die Zielrichtung
der Strategie zu verständigen. Wir un-
terscheiden zwei grundsätzlich ver-
schiedene, aber miteinander verbun-
dene Strategien: die Personalstrategie
und die Personalfunktionsstrategie. Die
Personalstrategie beschreibt vor allem,
welche Menschen für die Umsetzung
der Unternehmensstrategie benötigt
werden (wie viele Mitarbeiter, mit wel-
chen Qualifikationen, zu welchen Zeiten
und an welchen Orten benötigt werden),
wie die Zusammenarbeit aussehen soll
und, etwas weiter gefasst, welche Maß-
nahmen ein Unternehmen ergreift, um
die benötigten Menschen zu gewinnen
und zu halten, sowie welche Bedingun-
gen es braucht, damit die Zusammenar-
beit bestmöglich gelingen kann.
Eine Personalfunktionsstrategie beant-
wortet hingegen die Frage, wie sich die
Personalabteilung aufstellen muss, um
die Personalstrategie umzusetzen. Sie be-
schreibt also die Strategie für den Bereich
Personal und es stehen Fragen nach den
bereichsbezogenen Erfolgsmaßstäben,
Bereichszielen und den Strukturen des
Personalbereichs im Vordergrund.
Die Personalstrategie ist die übergrei-
fende Strategie, die mit der Unterneh-
mensstrategie verzahnt werden muss.
Akteure für die Personalstrategie sind
neben HR die Geschäftsführung und die
Führungskräfte, die Personalprozesse
verantworten oder an ihnen beteiligt
sind. Für HR ist das Thema Personal-
strategie auch ein Mittel, um Einfluss
zu gewinnen und den eigenen Auftrag
sowie Ziele und Erfolgsgrößen mit der
Geschäftsführung zu vereinbaren, die
dann auch in schwierigen Phasen rich-
tungsweisend sind.
Erstellung der Personalstrategie
im Co-Creation-Prozess
Insbesondere die Digitalisierung hat zu
einer Dynamik geführt, die Unterneh-
men zwingt, auf Sicht zu fahren und
sich ständig an Marktveränderungen
anzupassen. Macht das Ausarbeiten ei-
ner Personalstrategie dann überhaupt
noch Sinn? Wir glauben ja, da viele
Unternehmen gerade in dieser sich ra-
sant verändernden Umwelt nicht im
gewohnten Schema weiter agieren und
die Vergangenheit auf die Zukunft proji-
zieren können. Gerade jetzt ist mutiges
strategisches Planen und Handeln mit
Weitblick essenziell. Aber es verändert
sich die Art und Weise, wie eine Per-
sonalstrategie erarbeitet wird, nämlich
nicht mehr linear, im stillen Kämmer-
lein und ohne echte Beteiligung der in-
ternen Kunden von HR. Diese Kunden
– wie zum Beispiel Geschäftsführung,
Führungskräfte und Mitarbeiter – soll-
te HR sinnvollerweise durch einen Co-
Creation-Ansatz oder im Rahmen eines
iterativen Vorgehens mittels Feedback-
Schleifen in den Strategieentwicklungs-
prozess einbeziehen.
Gleichzeitig gilt es, Flexibilität zu be-
wahren. HR muss in der Lage sein, die
Personalstrategie schnell anzupassen,
beispielsweise weil sich die Unterneh-
mensstrategie geändert hat, die Situa-
Neue Strategien im Dialog
ÜBERBLICK.
Gerade in komplexen Situationen braucht man eine Personalstrategie.
Dabei muss HR flexibel bleiben und seine Kunden frühzeitig einbinden.