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RECHT
_ARBEIT 4.0
04/18 personalmagazin
N
eue Arbeitsformen breiten sich in den Betrieben aus:
Teilzeit, „Work From Home“, „Remote Work“, „Shared
Office“ sind sämtlich das Ergebnis der technischen
Möglichkeiten, die die Digitalisierung von Arbeit in
der Industrie 4.0 bietet. Disruptiv, das Wort der Stunde dieser
neuen Industrie, gilt auch für das Arbeitsrecht und am deut-
lichsten für die Regelung des Arbeitszeitrechts. Beginn und En-
de, Umfang und Lage, Pausenzeiten und Ruhezeiten
werden durch neue Arbeitsmethoden, Arbeits-
formen und Arbeitsinstrumente kategorisch
überflügelt. In manchen Betrieben, so ge-
winnt man als Berater zunehmend den
Eindruck, gilt das Korsett des Arbeits-
zeitrechts nicht mehr. Die ständige
Erreichbarkeit, eine andauernde
Kommunikation und der dauerhafte
Zugang zu den Arbeitsquellen und
zu den für das Arbeiten notwendigen
Daten verlassen die Linie, die das
Arbeitszeitrecht zeichnet und wirken
disruptiv auf gewachsene, gestandene
Strukturen. Dabei treten ungewollt zahl-
reiche Verstöße gegen das Arbeitszeitge-
setz auf: Es werden Mindestpausen zwischen
Beginn und Ende oder zwischen Ende und Beginn
der Arbeit genauso missachtet wie die Zahl der geleiste-
ten täglichen oder wöchentlichen Arbeitsstunden.
Inzwischen unternehmen Betriebe Anstrengungen, um
gegen diese Disruption des Arbeitszeitrechts anzugehen: In
Betriebsvereinbarungen haben mancherorts Betriebsräte und
Arbeitgeber Regelungen getroffen, dass Arbeitnehmer mobi-
les Arbeiten ab einer bestimmten Uhrzeit beenden müssen
und dass der Datenaustausch mit mobilen Geräten und der
Zugang zu den arbeitsrelevanten Daten bis zum Beginn der Ar-
beitszeit am folgenden Arbeitstag unterbrochen wird. Während
derartige Unterbrechungen technisch möglich und rechtlich
gegebenenfalls geboten erscheinen, ist fraglich, ob sie auch or-
ganisatorisch erwünscht oder unternehmerisch förderlich sind.
Von
Manteo Eisenlohr
Auf unbedingte Akzeptanz stoßen derartige betriebliche
Reglungen bei den Arbeitnehmern nicht in jedem Fall: Inzwi-
schen greifen offenbar Arbeitnehmer zu „alternativen Kanä-
len“ wie zum Beispiel private Whatsapp-Nachrichten oder
das Abspeichern von Daten auf der privaten Cloud, um die
„Abschaltung der Kommunikation“ zu umgehen. Dies führt in
vielen Betrieben zu neuen, weiteren Herausforderungen bei
der Bewältigung der Datensicherheit, wobei das arbeitszeit-
rechtliche Phänomen weiter ungeklärt bleibt.
Anstatt die bisherigen Regelungen durch Restrik-
tionen erhalten und zementieren zu wollen,
sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer-
vertretungen versuchen, mit den dis-
ruptiven Entwicklungen Schritt zu
halten. In der Praxis erkennt man
zunehmend die Tendenz, statt Kom-
munikation zu unterbinden neue
Arbeits- und Arbeitszeitmethoden
einzuführen, etwa Jahresarbeits-
zeitkonten, auf die stets dann Ar-
beitszeit „gebucht“ wird, wenn sie
tatsächlich erbracht wird. Ob solche
Modelle mit dem geltenden Arbeits-
zeitrecht zu vereinbaren sind, ist eine
Fallfrage. Doch lassen sich Lösungen
entwickeln, die mit geltendem Recht zu ver-
einbaren sind und den organisatorischen und
unternehmerischen Anforderungen genügen.
Die Betriebe sind aufgefordert, Vorreiter zu sein, damit die
disruptive Entwicklung um das Arbeitszeitrecht nicht zum
Wegfall seines Schutzes für die Arbeitnehmer führt. Die He-
rausforderung besteht darin, rechtmäßige arbeitszeitrecht-
liche Regelungen zu entwickeln, die sich an die Bedingungen
der digitalen Arbeit anpassen können.
KOLUMNE.
Die Praxis neuer Arbeitsformen lässt bestehende gesetzliche Vorgaben
überholt erscheinen. Statt Verbote sollten Unternehmen daher neue Ideen entwickeln.
Disruption des Arbeitszeitrechts
DR. MANTEO EISENLOHR,
Rechtsanwalt und Part-
ner bei der Kanzlei Altenburg, äußert sich regelmäßig
an dieser Stelle zu den aktuellen Entwicklungen in
der digitalen Arbeitswelt.
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