Personalmagazin 4/2018 - page 62

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RECHT
_GEMEINSCHAFTSBETRIEB
personalmagazin 04/18
S
pätestens seit Inkrafttreten des
reformierten Arbeitnehmer­
überlassungsgesetzes (AÜG) im
April 2017 suchen Unterneh­
men nach alternativen Modellen zur Per­
sonalkostenreduzierung. In Anbetracht
der deutlichen Verschärfung der Sank­
tionen bei verdeckter Arbeitnehmer­
überlassung hat das Geschäftsmodell der
(Schein-)Werkverträge endgültig ausge­
dient. Jedoch: Ein nur wenig beachtetes
Gestaltungsinstrument zur Reduzierung
der Personalkosten ist die Gründung ei­
nes sogenannten gewillkürten Gemein­
schaftsbetriebs unter Einschaltung einer
Personalführungsgesellschaft.
Personaler verbinden mit einem Ge­
meinschaftsbetrieb häufig lediglich die
unerwünschte Rechtsfolge, dass sich
die Sozialauswahl auch auf die Arbeit­
nehmer des anderen Unternehmens
des Gemeinschaftsbetriebs erstreckt
und sich hierdurch der Kreis der po­
tenziell vergleichbaren Arbeitnehmer
erweitert. Das ist grundsätzlich zutref­
fend, allerdings lange nicht alles, was
der (gewillkürte) Gemeinschaftsbetrieb
potenziell zu bieten hat. So ist weniger
bekannt, dass nach ständiger Recht­
sprechung des Bundesarbeitsgerichts
(BAG) – trotz Vorliegens eines Gemein­
Von
Andrea Panzer-Heemeier
und
Carina Engelhard
schaftsbetriebs – der arbeitsrechtliche
Gleichbehandlungsgrundsatz nur in­
nerhalb des jeweiligen vertragsschlie­
ßenden Unternehmens, nicht jedoch
unternehmensübergreifend zur Anwen­
dung kommt. Das Gegenmodell zum
Kündigungsrecht also.
Gemeinschaftsbetrieb und AÜG
Der Begriff der Arbeitnehmerüberlas­
sung wird seit der AÜG-Reform gesetz­
lich definiert. So bestimmt § 1 Absatz 1
Satz 2 AÜG, dass Arbeitnehmer zur Ar­
beitsleistung überlassen werden, „wenn
sie in die Arbeitsorganisation des Ent­
leihers eingegliedert sind und seinen
Weisungen unterliegen“.
Beim wechselseitigen Personalein­
satz zweier Unternehmen in einem
Gemeinschaftsbetrieb ist dieses Merk­
mal gerade nicht erfüllt. Durch die
Gründung oder durch den faktischen
Zusammenschluss zweier rechtlich
selbstständiger Unternehmen zu einem
Gemeinschaftsbetrieb entsteht eine
gemeinsame betriebliche Organisa­
tion. Vor diesem Hintergrund ist das
strukturprägende Merkmal der Arbeit­
nehmerüberlassung, die Eingliederung
des Arbeitnehmers in eine fremde Ar­
beitsorganisation (außerhalb des Ver­
tragsarbeitgebers), gerade nicht erfüllt.
In der Rechtsprechung und Literatur
ist daher anerkannt, dass sich ein Ge­
meinschaftsbetrieb und das Vorliegen
von Arbeitnehmerüberlassung rechts­
technisch ausschließen.
Daraus folgt für die Praxis: Zwei
rechtlich selbstständige Unternehmen
können trotz unterschiedlicher Arbeits­
bedingungen hinsichtlich Entgelt, Ur­
laub und Überstunden ihre jeweiligen
Arbeitnehmer gemeinsam für einen
einheitlichen arbeitstechnischen Zweck
einsetzen.
Beispiel zum Gemeinschaftsbetrieb
Eine Gestaltungsoption des Gemein­
schaftsbetriebs soll der nachfolgende Fall
verdeutlichen, der Gegenstand der Ent­
scheidungen des LAG Rheinland-Pfalz
(Beschluss vom 13. Oktober 2016, Az. 6
TaBVGa 2/16; Beschluss vom 24. Januar
2018, Az. 4 TaBV 9/17 und Urteil vom
6. Februar 2018, Az. 4 Sa 136/17) sowie
diverser Verfahren des Arbeitsgerichts
Trier gewesen ist (zum Sachverhalt siehe
Grafik „Beispiel“).
Die tarifgebundene A-GmbH produ­
ziert und liefert unter anderem Technik
für großflächige Beschläge. Die A-GmbH
betreibt neben anderen Werken das
Werk P. In diesem Werk existiert ein
Betriebsrat. Die B-GmbH verfügte ur­
sprünglich über keinen operativen Be­
trieb und keine eigenen Arbeitnehmer.
Ihr Geschäftszweck bestand lediglich in
der „Verwaltung eigenen Vermögens“.
Neue Wege zu weniger Kosten
ÜBERBLICK.
Vor der AÜG-Reform haben einige Unternehmen versucht, mit (Schein-)
Werkverträgen die Personalkosten zu senken. Nun könnte eine andere Lösung helfen.
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