personalmagazin 8/2016 - page 68

68
RECHT
_KÜNSTLERSOZIALABGABE
personalmagazin 08/16
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
ernsthaft geprüft, ob das Vorführen von
Damenunterwäsche noch als bloßes Her­
zeigen von Kleidungsstücken durchgeht
oder schon Kunst ist. Hier hatte sich das
Bundessozialgericht (BSG) für Letzteres
entschieden. Die Begründung: Es seien
eigene Bewegungsabläufe und somit ei­
genschöpferische Leistungen erkennbar.
Einem Tanzlehrer für „Tango Argentino“
wurde dagegen attestiert, er übe noch
einen Sport und daher keine Kunst aus.
Irrtum zur Prüfungspraxis
Ein weiterer Irrtum sei erwähnt: Ein
Unternehmen meinte, dass es nie et­
was mit Künstlern zu tun gehabt habe.
Daher, so die Auffassung, sei es nicht
erfasst. Es bedürfe also keiner weiteren
Maßnahmen – zumal Prüfer sowieso
nur vier Jahre nachfordern könnten.
Allerdings, schon die Grundannahme
ist falsch: Auch wenn das Unternehmen
nicht als abgabepflichtig erfasst wurde,
entbindet dies nicht von der jährlichen
Prüfung, ob es mittlerweile Aufträge zur
Eigenwerbung vergeben hat oder zu so­
genannten einzelfallbezogenen Verwer­
tern zu rechnen ist (siehe Kasten: Wer
muss bezahlen?)
Auch die Hoffnung auf die Regel­
verjährung von vier Jahren ist seit der
Einführung der neuen Prüfungsvor­
schriften (siehe Kasten: Dicht geknüpf­
tes Prüfungsnetz) selten berechtigt. Wer
über seine Pflichten zur Künstlerabga­
be schriftlich belehrt worden ist und
bestätigt, dass er seine Pflicht kennt,
unaufgefordert Sachverhalte mit Künst­
lerhonoraren zu beurteilen, dem wird
der Nachweis schwerfallen, dass er ge­
gen seine Meldepflicht nicht vorsätzlich
verstoßen hat. Und bei Vorsatz, so be­
stimmt es § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV, gilt
eine Verjährungsfrist von 30 Jahren.
THOMAS MUSCHIOL
ist
Fachautor und Rechtsanwalt
mit Schwerpunkt im Arbeits-
und betrieblichen Sozialversi-
cherungsrecht in Freiburg.
Wenn es Parallelen zwischen dem Recht der Künstlersozialabgabe und der Beitragser-
hebung in der Sozialversicherung gibt, dann beim sogenannten Phantomlohn.
Auch der sogenannte Phantomlohn, in dessen Folge unter Umständen auch aus nicht
geflossenem Arbeitsentgelt Beiträge zu errechnen und abzuführen sind, kann bei der
Berechnung der Künstlersozialabgabe eine Entsprechung erfahren. Welche Folgen das
haben kann, das ist dem „Musikraumfall“ (BSG-Urteil vom 30.9.2015, Az. B 3 KS 1/14)
zu entnehmen. In dem Fall verwirklichte eine Diplom-Musiklehrerin ihre Geschäftsidee:
Sie mietete ein Haus mit dem Ziel an, einzelne Räume an selbstständig tätige Musikleh-
rer weiterzuvermieten. Diese sollten so die Gelegenheit erhalten, Musikunterricht zu er-
teilen. Bei einer Betriebsprüfung wurde sie jedoch als Betreiberin einer Musikschule und
damit als abgabepflichtiges Unternehmen im Sinne der Künstlersozialabgabepflicht ein-
gestuft. Das allein macht den Fall noch nicht spektakulär. Vielmehr war es die Berech-
nung der Höhe der Künstlersozialabgabe. Maßstab dafür sollten die Einnahmen sein,
die die Künstler ihren Musikschülern beziehungsweise deren Eltern in Rechnung gestellt
hatten. Es ging also um Einnahmen aus Vertragsverhältnissen, an denen die Vermieterin
gar nicht beteiligt war – zumal sie keine Kenntnis davon hatte, wie hoch die tatsächlich
erzielten Einnahmen der einzelnen Musiklehrer waren. Diesen Einwand ließen die BSG-
Richter genauswenig gelten wie die Tatsache, dass sich die Beitragsbescheide auf ein
Vielfaches dessen summierten, was an Einnahmen aus Vermietung erzielt wurde.
Das Urteil zeigt, wie hoch die Anforderungen an Unternehmen hinsichtlich ihrer Kennt-
nisse über die Komplexität der Künstlersozialabgabe sind. Die Musiklehrerin, so das BSG,
hätte erkennen müssen, dass ihr Vermietungsmodell in Wirklichkeit eine mittelbare Ver-
wertung von künstlerischen Leistungen ist. Was den verlangten Blick auf die Einkünfte
der Musiklehrer betrifft, so fordert das BSG wörtlich: „Es liegt im Verantwortungsbereich
eines abgabepflichtigen Unternehmens, durch entsprechende Vertragsgestaltung mit
den Künstlern sicherzustellen, dass diese ihm zumindest einmal jährlich eine Aufstel-
lung über die von ihnen vereinnahmten Entgelte für künstlerische Leistungen zukom-
men lassen, um konkrete Meldungen abgeben zu können.“
Abgabenpflicht aus Phantomumsätzen
URTEIL
Dass selbst ein im Bereich der Künstlersozialversicherung bewandtes Medienunter-
nehmen falsch liegen kann, musste der Fernsehsender RTL zur Kenntnis nehmen – im
Zusammenhang mit der Fernsehsendung „Deutschland sucht den Superstar“.
Im konkreten Fall hatte RTL auf die Leistung eines gewissen Dieter Bohlen, der als Juror
für die Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) gewirkt hatte, keine Künst-
lerabgabe entrichtet. Bohlen sei nicht als Künstler, sondern als sogenannter Experte
unter Vertrag gestanden, so das Argument. Das Bundessozialgericht (BSG) war hier
allerdings anderer Meinung und verhalf der Künstlersozialkasse zu einer satten Mehr-
einnahme. Die Juroren seien Teil des DSDS-Konzepts und übten eine eigenschöpferische
Tätigkeit aus. Der Begriff der Kunst, urteilten die BSG-Richter, die sich offensichtlich
intensiv mit allen Facetten der Jurorentätigkeit beschäftigt hatten, lasse eine „Niveau-
kontrolle“ nicht zu. Und selbst wenn einige Statements der Juroren einen strafrechtlich
relevanten Inhalt aufweisen sollten, verlören sie nicht die Qualität als künstlerische
Leistung im Sinne des KSVG (BSG-Urteil vom 1.10.2009, Az. B 3 KS 4/08).
Gericht belehrt den Fernsehsender RTL
KUNSTBEGRIFF
1...,58,59,60,61,62,63,64,65,66,67 69,70,71,72,73,74,75,76,77,78,...84
Powered by FlippingBook