personalmagazin 8/2016 - page 72

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RECHT
_AÜG-REFORM
personalmagazin 08/16
gen ist. Praktisch müssen wir bei jedem
Kunden nachfragen, in welcher Höhe
Stammbeschäftigten eine Vergütung be-
zahlt wird und müssen dann diese Ver-
gütungen in den Zeitarbeitssystemen
auf Basis der Tarifverträge abbilden.“
Dabei sei die Mitwirkungspflicht der
Kundenbetriebe nicht ausreichend ge-
regelt. „Die bestehenden Regelungen in
§ 12 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz,
wonach der Entleiher anzugeben hat,
welche wesentlichen Arbeitsbedingun-
gen einschließlich des Arbeitsentgelts
für seine Stamm-Mitarbeiter gelten, sind
keinesfalls ausreichend, um unsere Ver-
pflichtung gegenüber dem Mitarbeiter
auf Zahlung von „Equal Pay“ sicherzu-
stellen.“
Negativ sieht Biedenbach auch die Kom-
bination aus „Equal Pay“ nach neun und
die Abmeldung des Zeitarbeitnehmers
vor der Höchstüberlassungsdauer von
18 Monaten. „Zwingende Folge ist dann,
dass der Mitarbeiter bei einem anderen
Kunden auf Basis der Zeitarbeitstarif-
verträge wieder neu eingesetzt wird
und insoweit erhebliche finanzielle Ein-
bußen zu verzeichnen hat. Dies schlägt
sich regelmäßig auf die Motivation der
Zeitmitarbeiter nieder.“
Und Biedenbach ergänzt: „Sehr kri-
tisch sehe ich zudem die erheblichen
Kennzeichnungs- und Konkretisierungs-
pflichten, die uns das Gesetz auferlegen
will, verbundenmit demneu eingefügten
Bußgeldtatbestand. Insbesondere der
kurzfristige Austausch von Zeitarbeit-
nehmern, der oft vomKunden gewünscht
ist, ist nach diesen Regelungen praktisch
kaum noch denkbar. Denn nach dem Ge-
setzesentwurf müssen künftig das Per-
sonaldienstleistungsunternehmen und
der Kundenbetrieb vor Beginn der Über-
lassung den Vertrag mit dem jeweiligen
– namentlich konkretisierten – Zeitar-
beitnehmer unterzeichnen. Dadurch
wird auch der Arbeitsaufwand in den
Personaldienstleistungsunternehmen
erheblich erhöht.“
VGSD:
Gesetz hält lediglich den Status quo
Der Verband der Gründer und Selbst-
ständigen Deutschland (VGSD) nimmt
vor allem die Schnittstelle des Gesetzent-
wurfs zu Werkverträgen ins Visier. Ge-
rade der im ersten Reformentwurf noch
vorgesehene Kriterienkatalog zur Defini-
tion eines Arbeitsverhältnisses war dem
Verband dabei ein Dorn im Auge. „Wir
sind sehr froh, dass der ursprünglich
geplante, völlig weltfremde Kriterien-
katalog zurückgenommen wurde“, sagt
deshalb Andreas Lutz, Vorstandsvorsit-
zender des VGSD. „In der heutigen Ar-
beitswelt müssen Selbstständige aus Si-
cherheitsgründen häufig mit Computern
und anderen Arbeitsmitteln des Auftrag-
gebers arbeiten, vor Ort sein, sich eng
mit festen und anderen freien Mitarbei-
tern des Auftraggebers abstimmen. An-
gesichts komplexer Projekte, an denen
viele Personen beteiligt sind, können
wir nicht immer eine Gewährleistung
übernehmen. Solche praxisfernen Ne-
gativkriterien festzuschreiben, wäre ein
schwerer Schlag für die Arbeitsteilung
und letztlich für den Wirtschaftsstandort
Deutschland gewesen.“
Ein weiterer Punkt, den der VGSD
beschäftigt hat: „Glücklicherweise ist
auch die Vermutungsregelung wegge-
fallen, bei der mit einem fragwürdigen
Bescheid der Deutschen Rentenversi-
cherung ohne weitere Prüfung aus dem
Selbstständigen ein Angestellter gewor-
den wäre – was man dann Jahre später
gegebenenfalls hätte rückabwickeln
müssen – ein bürokratischer Alptraum.“
Dennoch zieht Lutz ein gemischtes
Fazit: „Ein Mehr an Rechtsunsicherheit
konnte zwar verhindert werden, wir ste-
hen jetzt jedoch am selben Punkt wie vor
der Vorlage des Gesetzesentwurfs. Daher
wünschen wir uns zumindest in der Ge-
setzesbegründung ein klares Bekennt-
nis zur Förderung und rechtssicheren
Betätigung Selbstständiger, da diese
einen wichtigen Beitrag zur Flexibilität
und Innovationsfähigkeit der deutschen
Wirtschaft leisten. So können Deutsche
Rentenversicherung und Gerichte bei
Bedarf darauf verwiesen werden.“
Auch konkrete Vorschläge macht der
VGSD, etwa „einen Positivkriterienkata-
log, der auch juristischen Laien bereits
bei Vertragsschluss die Einordnung und
Unterscheidung zwischen Festanstel-
lung und Selbstständigkeit ermöglicht.
Auch müssen Auftraggeber und Auf-
tragnehmer Rechtssicherheit erhalten:
Haftungsrisiken und Strafbarkeit müs-
sen angesichts unklarer gesetzlicher Re-
gelungen eingegrenzt werden. Und: Die
Rechtsstaatlichkeit sollte durch trans-
parente, schnelle und nachvollziehbare
Prozesse und Verfahren gestärkt wer-
den, auch durch effektive Rechtsbehelfs-
und Schlichtungsmechanismen.“
„Wir sind froh, dass der geplante, welt-
fremde Kriterienkatalog vom Tisch ist.“
Dr. Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender
Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) e.V.
„Sehr kritisch sehe ich die erheblichen
Kennzeichnungs- und Konkretisierungs-
pflichten, die das Gesetz vorsehen soll.“
Wigbert Biedenbach, Vorstandsvorsitzender Job AG
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