personalmagazin 8/2016 - page 57

man auf eine flexible Personaldispositi-
on setzen kann?
Weshalb sollte diese Hyperflexibilität
für Mitarbeiter erstrebenswert sein?
Gerade in unsicheren Zeiten wünschen
sich viele Mitarbeiter Planungssicher-
heit, feste Jobs und ein geregeltes Ein-
kommen. Und warum sollte sich ein
Mitarbeiter an ein Unternehmen bin-
den (was sich Unternehmen zumindest
bei High Potentials wünschen), wenn
Unternehmen sich selber nicht binden
wollen?
So wichtig Flexibilität ist: Sie einseitig
auf Mitarbeiter zu verlagern und gleich-
zeitig auf substanzielle Planungen zu ver-
zichten, ignoriert zeitgemäße Forderungen
nach ökonomischer, sozialer und ökolo-
gischer Nachhaltigkeit.
Ein Déjà-vu: „Bachelor welcome”
Angesichts des Moderators der Runde
wenig überraschend: Einmal mehr wird
für den Bachelor als zentralen berufs-
qualifizierenden Abschluss geworben.
Das kennen wir alles schon aus dem
Jahre 2004: Damals hatten Unterneh-
men unter der Federführung eines heu-
te omnipräsenten Kongressredners laut
„Bachelor welcome“ gerufen. Dieser
Wunsch wurde zum Leidwesen der Stu-
dierenden und des Standorts Deutsch-
land erfüllt. Ihren Teil des Pakts haben
die Unternehmen durchweg nicht er-
füllt: Für das neue Qualifikationsbild
„Bachelor“ gibt es noch immer weder
Rekrutierungs- noch Qualifikations-
muster. Bachelor sind also willkommen,
wenn sie sich gegen die älteren Master
und Diplomträger durchsetzen. Da das
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allerdings unwahrscheinlich ist, wollen
viele Studenten wie im alten System so-
fort nach dem Bachelor-Abschluss am
gleichen Standort in einem Master-Stu-
diengang weiterstudieren.
Also: Man sollte sich endlich vom Ziel
des Bachelors als zentrale Eingangsqua-
lifikation verabschieden und ihn lediglich
als eine Option ansehen.
Und noch ein Déjà-vu: Unternehmen
als Bedarfsermittler
Wie schon bei „Bachelor welcome“ gibt
es auch in diesem Positionspapier mas-
sive Forderungen von Unternehmen
an die Hochschulen, beispielsweise in
Richtung Stärkung der Dualen Hoch-
schulen, Forcieren von MINT und
Umbau der BWL in Richtung Wirt-
schaftsingenieurwesen. Die Frage ist
nur: Sind diese Forderungen sinnvoll
und zukunftsweisend? Wie wenig Un-
ternehmen ihren quantitativen und
qualitativen Personalbedarf projektiv
bestimmen können, haben wir in den
vergangenen Jahren gesehen. Und wie
wenig sie von Bildungseinrichtun-
gen verstehen, haben die inzwischen
klammheimlich reduzierten Corporate
Universities unfreiwillig bewiesen.
Die Autoren dieses Positionspapiers
sollten sich bei ihren konkreten (aber teil-
weise unsinnigen) Forderungen an das
Bildungssystem drastisch zurücknehmen.
Stattdessen sollten sie Forderungen an
Unternehmen richten, die – anders als bei
„Bachelor welcome“ – als Selbstverpflich-
tung anzusehen sind. Nur fordern, was
andere tun sollen, reicht nicht.
Die Autoren: Nebulöse Urheberschaft
Irgendwie entsteht der Eindruck, dass
der Text wie folgt entstanden ist: Man
nehme einige Originalzitate von HR-Vor-
ständen und streue sie in bestehende
Vortragsmanuskripte der eigentlichen
Protagonisten dieses Positionspapiers
ein. Deshalb finden sich richtige Sätze
wie „In der öffentlichen Debatte wird
häufig reflexartig der Eindruck erweckt,
es gebe die eine Lösung für die digitale
Transformation“ in unmittelbarer Nähe
zur falschen Interpretation der digitalen
Transformation als technikgetriebenes
Naturgesetz. Im Ergebnis wird allenfalls
noch zugelassen, dass man Mitarbeiter
in etwas unterschiedlicher Form auf die
Digitalisierung zuschneidet.
Werden hier vielleicht einige „Mitglieder
des HR-Kreises“ vor ein trojanisches Pferd
von Protagonisten mit einem veralteten
mechanistischenMenschenbild gespannt?
Was bleibt? Ein Bild der
Stimmungslage?
Falls dieses „Positionspapier“ tatsächlich
ein Stimmungsbild der deutschen Per-
sonalvorstände ist, dann haben wir ein
Deutschland bestehend aus Unterneh-
men mit depressiven Versagern, aus „er-
stickenden Strukturen“, aus unfähigen
Bildungseinrichtungen, aus einem durch
das „alltägliche Klein-Klein“ dominier-
ten HR-Bereich, aus Mitarbeitern ohne
Verständnis für Technik und aus jungen
Menschen, die ausschließlich bei Google
arbeiten wollen. Zum Glück entspricht
dies nicht der Realität. Deshalb können
wir uns das Leviten-Lesen sparen. Und
wenn die Forderungen der Autoren inno-
vationsverdächtig am Schluss adminis­
trativ-bürokratisch auf „eine Landkarte
oder einen Atlas mit Kompetenzzentren“
hinauslaufen, dann fehlen radikale Alter-
nativen und altbackene Fantasielosigkeit
wird deutlich.
Der Wettbewerbsvorteil einer zeitgemäß
verstandenen Digitalisierung liegt nicht in
einer Intensivierung der Automatisierung
oder einer Maximierung der Vernetzung.
Wir brauchen in Deutschland Geschäfts-
modelle, in denen Menschen nicht länger
nur als zahlende Kunden oder wegzura-
tionalisierende Mitarbeiter vorkommen.
Erst das wäre eine echte digitale Transfor-
mation.
Wir brauchen Geschäfts-
modelle, in denen
Menschen nicht nur als
wegzurationalisierende
Mitarbeiter vorkommen.
Erst das wäre eine echte
digitale Transformation.
PROF. DR. CHRISTIAN
SCHOLZ
ist Lehrstuhlinha-
ber an der Universität des
Saarlands.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
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