personalmagazin 8/2016 - page 54

personalmagazin 08/16
SPEZIAL
_DIGITALE TRANSFORMATION
54
A
ls auf dem Display meines
Macbooks die Anfrage auf-
tauchte, ein Positionspapier
zur digitalen Transformation
zu kommentieren, war meine Antwort
ein klares „Ja“: Denn Veränderungen der
Arbeitswelt beschäftigen mich seit Mit-
te der 1990er-Jahre. Damals diskutier-
ten wir unter ungläubigen Blicken von
Praktikern „Virtuelle Unternehmen“ als
neuartige Organisationsformen. Mein
Interesse war also sofort geweckt – nur
erwies sich dieses Kommentieren dann
aber als eher unangenehm.
Die Sprache: Eltern-Ich mit
Applausautomatik
„Nicht alle Verantwortlichen sind be-
reit, ‚die Augen zu öffnen‘ und die
neuen Herausforderungen zu sehen“
oder „Wir werden nicht alle Mitarbei-
ter mitnehmen können“. Überall das
pathetische „Wir-müssen-endlich“, das
auf Kongressen ekstatisch beklatscht
wird, weil es im Kern bedeutet, dass
alle anderen endlich etwas tun müssen.
Sprache ist verräterisch: Das ganze Po-
sitionspapier doziert vom kritischen El-
tern-Ich herab zum hilflosen Kind-Ich.
Und wir Kinder scheinen genau diese
Führung zu wollen, obwohl wir mer-
ken, dass der Prediger auf der Kanzel
selbst wenig von seinen Forderungen
umgesetzt hat.
Genau das aber ist verkehrt: Wir brau-
chen eine ergebnisoffene Diskussion im
Erwachsenen-Ich, in der nicht länger
jeder, der nicht applaudiert, als Ewig-
Von
Christian Scholz
Gestriger ausgegrenzt und zum Technolo-
gie-Ignoranten abgestempelt wird.
Der Inhalt: Leerformeln als
Platzverschwendung
„Deutschland ist zwar Weltmeister bei
Ideen, aber Kreisklasse bei der Umset-
zung.“ Nun ja, für derartige Sätze gilt:
Tausendmal gesagt und tausendmal ist
nix passiert – vielleicht, weil nicht alle
diese marktschreierischen Aussagen
richtig sind.
Aussagen, wonach wir alle schneller wer-
den müssen und Sprechblasen wie „Die Fra-
gestellungen sind hochkomplex“ bringen
uns nicht weiter. Was wir brauchen: einen
großen Rotstift, der dieses Papier (und die
gesamte Debatte) von Leerformeln befreit.
Der Denkfehler:
Digitalisierung als Subjekt
Formulierungen wie „Zwar wird die
Unumkehrbarkeit dieser Entwicklung
noch zu wenig gesehen“ signalisieren
einen Technikdeterminismus, der ei-
nen ganz bestimmten sozialen Wandel
verlangt. Digitalisierung ist also nach
Ansicht der Autoren eine gegebene
Konstante und digitale Transforma-
tion ein Determinismus. Die HR-Vor-
stände folgen damit dem metaphysi-
schen Materialismus, der Menschen
in begrenzten Handlungsräumen ge-
fangen hält.
Umdenken tut not: Nicht die Menschen
müssen sich einer vordeterminierten „Di-
gitalisierung“ anpassen, wir sollten viel-
mehr die Digitalisierung für die Menschen
gestalten. Nicht der Mensch ist das Objekt.
Die Digitalisierung ist das Objekt!
Der blinde Fleck: Die Menschen
Damit sind wir auch schon beim nächs-
ten Fehler dieses Positionspapieres ange-
langt: Menschen sind allenfalls Objekte,
die nicht schnell und effizient genug ler-
nen, vor allem aber nicht begreifen, wie
sie arbeiten sollen: „Arbeit wird wieder
(wie in der Zeit vor der Industrialisie-
rung) stärker ins Private übergreifen.“
Nur: Brauchen wir das? Ist das wirk-
lich sinnvoll?
Also: Eine schöne neue Welt, in der Men-
schen eine zu minimierende Residualgrö-
ße darstellen, ist keine Option. Letztlich
macht der menschliche Faktor den Unter-
schied aus. Innovation und Spaß entste-
hen nicht primär durch Digitalisierung,
sondern zum Glück noch immer oft trotz
Digitalisierung.
Der noch blindere Fleck:
Die jungen Menschen
„Wir sind in einer Situation, in der die
Jungen teilweise erstmals mehr wissen
als die Alten.“ Der Appell ist richtig,
Denkfehler und Leerformeln
DEBATTE.
Personalvorstände aus dem Dax haben ein Positionspapier zur Digitali­
sierung von Wirtschaft und Arbeitswelt vorgelegt, das viele Fragen aufwirft.
Umdenken tut not: Nicht
die Menschen müssen
sich der Digitalisierung
anpassen, sondern wir
sollten vielmehr die
Digitalisierung für die
Menschen gestalten.
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