personalmagazin 10/2016 - page 39

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Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
sondern kann auch die Arbeitsqualität
und das Wohlbefinden von Mitarbeitern
negativ beeinflussen“.
Konsequenzen fürs HR-Management
Es gibt bereits HR-Informationssysteme,
die Daten aus den klassischen HR-Funk-
tionen auswerten: von der Rekrutierung
(Bewerberdaten) über die Personalpla-
nung (Stellen- und Kompetenzdaten-
banken) bis zur Personalentwicklung
(Trainingsdaten). Demgegenüber stehen
Produktions- und Vertriebssysteme mit
Leistungsdaten (Fehlerquoten, Verkaufs-
zahlen). Wer Big Data im HR-Bereich
nutzen möchte, sollte zunächst die tech-
nische Basis schaffen und fragmentierte
Datensätze vereinheitlichen. Beispiel
Motivation und Leistung: Unterhaltungen
per E-Mail oder in sozialen Medien sowie
Beiträge in firmeninternen Wikis können
mit Zielerreichungsdaten oder Verkaufs-
zahlen verknüpft werden, um zu verste-
hen, welche Mitarbeiter motiviert sind.
Wer kaum motiviert ist, wird sich weni-
ger am Wissensaustausch im Intranet be-
teiligen. Wer bereits innerlich gekündigt
hat, wird vielleicht sogar Ideen anderer
kaputt reden, was über das Bewertungs-
system eingestellter Beiträge analysiert
werden kann. Wenn zugleich private
E-Mails und Posts zunehmen, während
Leistungsdaten abnehmen, lässt sich ein-
schätzen, wie motiviert welcher Mitarbei-
ter ist. Ursache-Wirkungs-Verhältnisse
sind jedoch stets von vielen Faktoren be-
einflusst. Deshalb ist Vorsicht geboten,
wenn IT-Anbieter vorgefertigte Dash-
boards mit Daten aus Best-Practice-Bei-
spielen empfehlen. Die „Lösung“ kann
eben nicht von Programmierern ohne
Kenntnis des Unternehmens kommen.
Aber auch nicht alleine von Persona-
lern. Denn dazu verstehen die meisten
zu wenig von Algorithmen, Statistik und
leider oft auch von Wertschöpfungs- und
Wirkungsketten. Berater können hier
eine Zeit lang als Übersetzer helfen.
Besser morgen als übermorgen sollten
Personaler jedoch eigene Kompetenzen
in diesen Bereichen erwerben. Sonst
manövriert sich HR weiter ins Abseits.
Aus Praxissicht weitergedacht
Benötigt werden Kenntnisse in Ökono-
metrie, Statistik und sozialer Netzwerk-
analyse sowie ein profundes Verständnis
betriebswirtschaftlicher
Zusammen-
hänge. Zudem braucht es Zeit, um he-
rauszufinden, welche Hebel wirklich
Wertschöpfungstreiber sind. Das alles
sind Zukunftsinvestitionen: von der Re-
krutierung und Qualifizierung über die
Bildung und Führung gemischter Teams
aus Fachabteilungen von HR und IT bis
hin zu den unvermeidbaren Rückschlä-
gen und Anpassungen. Letztlich aber
kann ein Vorsprung an Wissen über die
Antworten auf die „großen“ Fragen ei-
nen entscheidenden Wettbewerbsvorteil
bringen und die Kosten und Mühen viel-
fach wieder einspielen. Außerdem: noch
steckt das Thema „People Analytics“ bei
fast allen Unternehmen in den Kinder-
schuhen. Weder HR noch Controlling
oder IT haben sich bisher in Stellung ge-
bracht. Es geht nun darum, nicht abge-
hängt zu werden oder sich sogar einen
Vorsprung zu erarbeiten.
MARTIN CLASSEN
führt seit
2010 sein Beratungsunter-
nehmen People Consulting.
PROF. DR. CHRISTIAN
GÄRTNER
ist Inhaber der
Professur für BWL an der
Quadriga-Hochschule Berlin.
ternehmen anders aus, da sich die Ge-
schäftsmodelle, Branchen, finanziellen
Situationen et cetera unterscheiden. Am
Beispiel McDonalds wird dies klar: Die
Eigenschaften und Einstellungen von
Mitarbeitern wurden analysiert und mit
Führungsstilen verknüpft, sodass Best
Practices für alle Restaurants abgeleitet
werden konnten. Sinnvoll sind solche
Verknüpfungen jedoch nur bei immer
gleichen Gegebenheiten, wie sie für die
Systemgastronomie typisch sind: hoch
standardisierte Produktionsprozesse
und Produkte bei relativ gering qualifi-
zierter und homogener Belegschaft.
Trotz der provokanten These, plä-
dieren die Autoren dafür, dass HR die
Hoheit über die Analyse von Befindlich-
keits-, Beziehungs- und Performanceda-
ten behält. Nur so sei gesichert, dass die
Mitarbeiter nicht auf Produktionsmittel
reduziert werden. Von Seiten des Perso-
nalbereichs sei entschiedenes Vorgehen
gefragt, damit in den Chefetagen ver-
standen wird, dass Humankapital nicht
nur Kostenfaktor ist, sondern den Unter-
nehmenserfolg maßgeblich beeinflusst
— Kennzahlen aus Big-Data-Analysen
können dieses Argument untermauern.
Für wen oder was das Ganze gilt
Für all jene, die die Augen vor den Chan-
cen und Herausforderungen der neuen
„People-Analytics“-Instrumente nicht
verschließen.
Wichtigster und nachdenklichster Satz
Wichtigster Satz: „Nach der sorgfältigen
Sammlung von Daten sollten Entschei-
dungen nicht nur auf Basis von einfa-
chen Korrelationen, sondern komplexe-
ren statistischen und ökonometrischen
Methoden getroffen werden, um den
Beitrag des Humankapitals zum Unter-
nehmenserfolg zu verstehen“.
Nachdenklichster Satz: „Es besteht das
Risiko, dass Controller und Ingenieure
noch mehr Einfluss auf der Vorstandse-
bene gewinnen, weil sie Big Data besser
beherrschen – und das beschränkt nicht
nur den strategischen Einfluss von HR,
Zu oft hakt es noch am Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis. Darum
stellen der Berater Martin Claßen und der Wissenschaftler Christian Gärtner im Personal-
magazin die Kernergebnisse internationaler Studien vor und ziehen Schlussfolgerungen
für das deutsche HR-Management. In diesem Serienteil geht es um den wissenschaftli-
chen Fachartikel „HR and analytics: why HR is set to fail the big data challenge“, der im
„Human Resource Management Journal“ erschienen ist. (bej)
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