personalmagazin 10/2015 - page 80

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RECHT
_BAV
personalmagazin 10/15
THOMAS MUSCHIOL
ist
Rechtsanwalt mit Schwerpunkt
im Arbeits- und Sozialversiche-
rungsrecht in Freiburg.
Urteil vom 23.6.2011, Az. 4 Sa 381/11
B). Das BAG hat sich in der Frage, inwie-
weit Altersabstandsklauseln gegen das
AGG beziehungsweise die europäischen
Diskriminierungsrichtlinien verstoßen,
bisher nicht abschließend geäußert.
Vielmehr haben die obersten deutschen
Arbeitsrichter versucht, das brisante
Thema zunächst durch einen Vorlagebe-
schluss beim Europäischen Gerichtshof
(EuGH) auf die Europarechtstauglichkeit
abchecken zu lassen.
Im Streit ging es um eine Alters-
abstandsklausel, die bei einem Al-
tersunterschied von 15 Jahren eine
Hinterbliebenenrente ausschloss. Der
EuGH hat sich jedoch zur Frage, ob der-
artige Klauseln gegen das europäische
Diskriminierungsrecht verstoßen, nicht
geäußert, sondern lediglich darauf hin-
gewiesen, dass eine Überprüfung nach
europäischem Diskriminierungsrecht
erst auf Todesfälle ab Dezember 2006
möglich sei. Schließlich sei erst dann der
deutsche Staat verbindlich verpflichtet
gewesen, Altersabstandsklauseln über-
haupt einer Diskriminierungsprüfung
zu unterziehen. Mit anderen Worten:
Ob oder ab welchem Altersabstand die
späte Ehe mit einem jüngeren Ehepart-
ner wirksam ist, bleibt weiterhin offen.
Versorgung auch bei Hochzeit nach
Ende des Arbeitsverhältnisses?
Was aber ist, wenn eine Versorgungs-
ordnung,
Hinterbliebenenrenten
jenseits von Lebensalter und Alters-
abstand, zumindest für die Fälle aus-
schließt, bei denen erst sehr spät, näm-
lich nach dem Ausscheiden aus dem
Betrieb geheiratet wird? Hier hat das
Bundesarbeitsgericht bereits im Jahr
2013 einen Schlusspunkt unter die Dis-
kussion gesetzt und derartige Klauseln
als wirksam angesehen (Urteil vom
15.10.2013, Az. 3 AZR 294/11) – auch
wenn dies im entschiedenen Fall für die
leer ausgehende Witwe geradezu tragi-
sche Züge zur Folge hatte. Der Kläger
hatte sich nämlich von seiner Ehefrau,
mit der er 34 Jahre verheiratet gewesen
war, scheiden lassen und sich sodann
in ein neues Eheabenteuer begeben.
Das hatte allerdings nur knapp sieben
Jahre Bestand, bevor es ebenfalls mit
einer Scheidung endete. Danach – bes-
ser hätte es das Drehbuch einer Soap
nicht vorsehen können – fanden der in
die Jahre gekommene Versorgungsemp-
fänger und seine erste Ehefrau wieder
Gefallen aneinander und heirateten ein
zweites Mal.
Eine Wiederverheiratung, das wollte
der ehemalige Mitarbeiter mit seiner
Klage erreichen, sei doch alles andere
als eine Spätehe. Entscheidend für den
Sinn einer Witwenversorgung sei doch,
dass seine frühere und jetzige Gattin
ihm während der gesamten Zeit seiner
aktiven Beschäftigung zur Seite gestan-
den habe. Klingt logisch, ist aber nicht
so – jedenfalls nicht nach Auffassung
der Richter des BAG. Auch im erneuten
Heiraten der Ex sahen sie rechtlich eine
völlig neue Eheschließung.
Sprichwort für Arbeitnehmer nur
bedingt empfehlenswert
Das altehrwürdige Sprichwort „Spät ge-
freit hat nie gereut“ ist also bezogen auf
das Thema betriebliche Altersversorgung
mit Vorsicht zu handhaben. Solange der
Mitarbeiter noch aktiv im Arbeitsverhält-
nis steht, steht einer späteren Heirat auf-
grund der neuen BAG-Rechtsprechung
zunächst nichts im Weg. Wer allerdings
nicht nur spät, sondern auch noch eine
wesentlich Jüngere freit, der muss sich
möglicherweise noch bis zum Europä-
ischen Gerichtshof über die Frage strei-
ten, ob Altersabstandsklauseln eventuell
AGG-widrig sind.
Entscheidung
Das Urteil des LAG Nie-
dersachsen im Volltext (HI2738558).
Die Arbeitshilfe finden Sie im Haufe
Personal Office (HPO). Internetzugriff:
ARBEITSHILFE
Auch in der gesetzlichen Rentenversicherung hat man sich Gedanken über die Rechtsfol-
ge bei späten Ehen gemacht. Die starre Zeitregel lässt jedoch auch eine Ausnahme zu.
Das SGB VI enthält eine Regelung zur Frage, ob eine späte Heirat nur deswegen erfolgt
ist, um den überlebenden Ehegatten in den Genuss einer Hinterbliebenenrente kom-
men zu lassen. Nach dem ersten Halbsatz des § 46 Abs. 2a SGB VI gilt insoweit eine
Jahresfrist. Allerdings gibt es in der gesetzlichen Rentenversicherung die Möglichkeit,
dem Vorwurf nur wegen der Hinterbliebenenversorgung noch schnell geheiratet zu
haben, zu entgehen. Diese Ausnahme regelt der zweite Halbsatz des § 46 Abs. 2a SGB
VI. Insgesamt hat die Vorschrift folgenden Wortlaut:
„Witwen oder Witwer haben keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente,
wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den
besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der
alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebe-
nenversorgung zu begründen.“
Jahresfrist – mit einer Ausnahme
RENTENVERSICHERUNG
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