personalmagazin 10/2015 - page 44

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ORGANISATION
_FAMILIENPFLEGEZEIT
personalmagazin 10/15
I
n Deutschland gibt es derzeit über
2,6 Millionen pflegebedürftige Men-
schen. Diese Zahl wird sich laut
Prognosen des Statistischen Bundes-
amtes bis ins Jahr 2050 auf 4,5 Millionen
fast verdoppeln. Knapp 70 Prozent davon
(absolut: 1,8 Millionen) werden häuslich
und von der Familie betreut. Tendenz
steigend. Laut Pflegereport 2030 der Ber-
telsmann Stiftung ist die Situation von
Bundesland zu Bundesland unterschied-
lich. So weisen die Szenarien für Bremen
für den Zeitraum bis 2030 ein Wachstum
der Zahl der Pflegebedürftigen von 28
Prozent aus, während diese Wachstums-
rate für Mecklenburg-Vorpommern mit
Von
Gret Beccard
Beruf und Pflege gut vereinbart
EINBLICK.
Trotz klarer Rechtsansprüche lassen sich Beruf und Pflege für viele Arbeit-
nehmer nur schwer vereinbaren. Wir zeigen, wo Unternehmen ansetzen können.
fast 56 Prozent annähernd doppelt und
für Brandenburg mit etwas über 72 Pro-
zent sogar mehr als 2,5-mal so hoch ist.
Überdurchschnittliche Steigerungsraten
zeigen sich auch für Berlin (rund 56 Pro-
zent), Schleswig-Holstein, Bayern und
Baden-Württemberg mit jeweils knapp
54 Prozent.
Diese Situation ist eine riesige He-
rausforderung für Unternehmen, die
zunehmend mit Fragen zu aktuellen Ge-
setzesregelungen, Beratungsangeboten
und Möglichkeiten der Unterstützung
konfrontiert werden. Dem Grundsatz
„ambulant vor stationär“ der gesetz-
lichen Pflegeversicherung folgend setzt
die Gesundheitspolitik in Deutschland
bei der Betreuung von Pflegefällen auf
ein starkes Familiennetzwerk. Doch gibt
es aktuell von staatlicher Seite noch
kaum umfassende Angebote, die die pfle-
genden Angehörigen unterstützen und
entlasten – und wenn, dann ist dieser
Ansatz eher punktuell statt umfassend.
Freistellung alleine genügt nicht –
echte Unterstützung ist gefragt
Zwar haben Arbeitnehmer in Betrieben
ab 25 Mitarbeitern durch das seit Januar
2015 geltende Gesetz zur besseren Ver-
einbarkeit von Familie, Pflege und Beruf
nun einen Rechtsanspruch, ihre Arbeit
zur Pflege eines Angehörigen maximal
zwei Jahre auf bis zu 15 Stunden redu-
zieren zu dürfen, die Kernprobleme aber
bleiben bestehen. Denn mit der reduzier-
ten Arbeit alleine ist es häufig nicht ge-
tan. Ein Beispiel: Dank der zunehmenden
Mobilität kann längst nicht mehr erwar-
tet werden, dass der zu pflegende Ange-
hörige im selben Ort oder zumindest in
der Nähe des pflegewilligen Mitarbeiters
wohnt – wie kann der Spagat zwischen
Job und Entfernung geschafft werden,
wenn der zu betreuende Elternteil 200
km entfernt lebt?
In vielen Unternehmen fällt auf, dass
gut ausgebildete Fachkräfte in dieser
Situation enorm belastet sind, häufig
jedoch Hilfsangebote nicht kennen,
wahrnehmen und auch die Personalab-
teilung hier nicht unterstützen kann –
Überforderung und langfristige Ausfälle
des Mitarbeiters statt gut organisierter
Pflege sind die Folge. Doch kein Unter-
nehmen kann es sich auf Dauer leisten,
dass die Erwerbstätigkeit seiner Mitar-
beiter massiv eingeschränkt wird oder
Das Modell entspannter Pflege neben der Arbeit ist in der Realität nur selten zu finden.
© ALEXRATHS / THINKSTOCKPHOTOS.DE
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