personalmagazin 10/2015 - page 26

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TITEL
_SUCHT AM ARBEITSPLATZ
personalmagazin 10/15
Arbeitssüchtige von engagierten Mitar­
beitern. Die hohe Zahl von Überstunden
stellt dann eher eine Folge daraus dar
als eine Ursache von Arbeitssucht.
Es gibt wenige wissenschaftlich fun­
dierte Fragebögen zur gesicherten Dia­
gnose von Arbeitssucht, welche nur von
Experten eingesetzt und interpretiert
werden sollten. Einfache Checklisten
können arbeitssuchtgefährdete Per­
sonen jedoch dazu anregen, sich mit
dieser Thematik aktiv zu beschäftigen.
Grenzziehung zwischen Leistungsga-
rantie und Überforderung
Frühe Studien unterschieden zufriede­
ne Workaholics von unerfüllten Worka­
holics. Neuere Untersuchungen der Or­
ganisationspsychologen Schaufeli, Taris
und Bakker zeigen jedoch, dass exzessi­
ves und zwanghaftes Arbeiten immer zu
Arbeitsunzufriedenheit führt. Arbeits­
süchtige haben wenig Freude an ihrer
Arbeit und werden auf Dauer krank.
Die nachgewiesenen Folgen von Ar­
beitssucht umfassen psychovegetative
Störungen wie Erschöpfung, depressive
Verstimmungen und Konzentrationsstö­
rungen sowie physiologische Probleme
wie Kopfschmerzen, Magengeschwüre
und Herz-Kreislaufprobleme.
Dennoch wird Arbeitssucht viel­
fach nicht ernst genommen, was zum
Teil auch der Tatsache geschuldet sein
dürfte, dass überengagierte Mitarbeiter
– nach dem Motto „viel hilft viel“ – als
Leistungsgaranten gelten. Dabei zeigen
Studien eindeutig, dass Arbeitssüchtige
mittel- und langfristig sich selbst und
demUnternehmen auf mehrfache Weise
schaden. Arbeitssucht verursacht kör­
perliche Probleme, im Einzelfall führt
sie zur totalen psychischen Erschöpfung
(„Burnout“) oder sogar zum Tod. Auch
das Leistungsniveau wird in Mitleiden­
schaft gezogen: Arbeitssüchtige können
sich schlechter konzentrieren, reagie­
ren schneller gereizt und ungeduldig
und bringen weniger Empathie auf als
andere Kollegen. Durch ihren Perfektio­
nismus fällt es ihnen schwer, Arbeit
an andere zu delegieren, wodurch sie
Teamgeist und Kooperation, Erfolgsfak­
toren insbesondere in Unternehmen mit
flachen Hierarchien, schaden.
Risikofaktoren der Arbeitssucht
Wie kommt es zu Arbeitssucht? Das
gesundheitspsychologische Modell der
„Effort-Reward-Imbalance“ von Siegrist
zeigt, dass beim Arbeiten ein Ungleich­
gewicht aus Arbeitsanforderungen und
Belohnungen entstehen kann. Men­
schen neigen dazu, (zu) geringe Beloh­
nung für (zu) hohe Anforderungen zu
tolerieren, wenn sie aus ökonomischen
Gründen keine Alternative haben, mit
einer höheren Belohnung zu einem
späteren Zeitpunkt rechnen oder durch
Obwohl Arbeitssucht (noch) keine klinisch relevante Sucht ist, sollten Unternehmen
der Entwicklung von Arbeitssucht Einhalt gebieten.
Werfen Sie bei der Formulierung von Anforderungsprofilen und Stellenanzeigen keine
„Köder“ für Workaholics („Wir suchen eine Persönlichkeit mit überdurchschnittlichem
Maß an Eigenmotivation“) aus.
Werden Sie bei Selbstbeschreibungen als „Perfektionist“ hellhörig und fragen Sie bei
Bewerbern nach, wie sie für Ausgleich und Entspannung sorgen.
Machen Sie klare Zielvorgaben, nicht nur im Jahresgespräch. Achten Sie darauf, dass
sich Mitarbeiter realistische Ziele (Zeit und Umfang) setzen und diese auch einhalten.
Belohnen Sie Perfektionismus und Über-Engagement nicht. Spenden Sie kein Lob für
Leistungen, die über das Ziel hinausschießen.
Besprechen Sie in einem Vier-Augen-Gespräch die Ziele und das Zeitmanagement von
Mitarbeitern, die regelmäßig Überstunden machen oder Arbeit mit nach Hause nehmen.
Bieten Sie Unterstützung an und fragen Sie, wie Sie und andere in Phasen von Über-
lastung helfen können.
Fördern Sie die Delegationsfähigkeit Ihrer Mitarbeiter und machen Sie deutlich, dass
Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Kompetenz von Kollegen eine wichtige Ressource
ist. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran!
Ermutigen Sie Ihre Mitarbeiter, zwischen wichtigen und weniger wichtigen Aufgaben
zu unterscheiden und sich ihre Kräfte entsprechend einzuteilen. Machen Sie Ihnen
klar, dass sie bei unwichtigeren Aufgaben auch einmal „fünfe gerade sein“ lassen
sollten.
Entwickeln Sie eine gute Fehlerkultur. Feiern Sie Ihre Erfolge gemeinsam und
besprechen Sie gemeinsam im Team (nach einem abgeschlossenen Projekt), was
alles schiefgelaufen ist und wie man es künftig besser machen kann. Offenbaren Sie
eigene Fehler und Verbesserungsmöglichkeiten im Unternehmen!
Seien Sie als Führungskraft Vorbild: Machen Sie Pausen, so wenig Überstunden wie
möglich und verlassen Sie das Büro nur selten als Letzte oder Letzter. Lassen Sie
keinen Jahresurlaub verfallen und erzählen Sie selbst offen von nicht-beruflichen
Aktivitäten, die Ihnen Freude bereiten.
Was tun?
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Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
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