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10/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
nach Hause zu schicken. Es ist dann dem
Mitarbeiter überlassen, den Gegenbeweis
anzutreten, etwa im Wege einer freiwilli-
gen betriebsärztlichen Untersuchung.
Trotz der Anreiz- und Rückfallgefahren,
die selbst eine Minimaltoleranz von Alko-
holgenuss nur „bei üblichen Anlässen in
verträglichen Mengen“ mit sich bringt, ist
ein Arbeitgeber grundsätzlich nicht ver-
pflichtet, ein absolutes und umfassendes
Alkoholverbot für den Betrieb auszuspre-
chen. Ob und inwieweit dies überhaupt
zulässig und im Sinne der BAG-Recht-
sprechung verhältnismäßig sein kann,
ist rechtlich umstritten. Es hängt unter
anderem davon ab, ob die Abstinenz zur
Gewährleistung der Sicherheit notwendig
ist, wie etwa im Transport- oder Gesund-
heitswesen. Wenn ein Betriebsrat besteht,
ist zudem dessen Mitbestimmungsrecht
in Fragen des Ordnungsverhaltens (§ 87
Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) sowie bei Arbeits-
schutz und Unfallverhütung zu beachten.
Droht ein Haftungsrisiko und wie kann
diesem begegnet werden?
Der Schutz durch die gesetzliche Unfall-
versicherung schließt eine Haftung des
Arbeitgebers gegenüber Mitarbeitern
und der Mitarbeiter untereinander zwar
weitgehend aus (§§ 104 f. SGB VII). Bei
einem Unfall unter Alkohol- oder Dro-
geneinfluss des Betroffenen liegt nach
der Rechtsprechung des Bundessozial-
gerichts (BSG) aber kein Arbeits- oder
Wegeunfall (§ 8 SGB VII) vor, wenn
• die versicherte Tätigkeit überhaupt
nicht mehr ausgeübt werden konnte
(zum Beispiel bei Volltrunkenheit) oder
• eine substanzbedingte Minderung
der Leistungsfähigkeit wesentliche Un-
fallursache (im Sinne einer „conditio
sine qua non“) war. Dies kann selbst bei
leichterer Alkoholisierung der Fall sein.
Selbst soweit der unfallversicherungs-
rechtliche Haftungsausschluss besteht,
erfasst dieser nicht die Haftung für Vor-
satz und Sachschäden. Zudem könnte es
zu strafrechtlichen Ermittlungen – zum
Beispiel wegen fahrlässiger Körperver-
letzung (§ 229 StGB) oder Aussetzung
einer hilflosen Person (§ 221 StGB) –
kommen, wenn Arbeitgeber auf einen
erkennbaren Suchtmittelkonsum nicht
adäquat reagieren und deshalb jemand
zu Schaden kommt. Der Arbeitgeber kann
die Erfüllung seiner Fürsorgepflicht da-
her nicht mit Verweis auf die gesetzliche
Unfallversicherung vernachlässigen. Es
gehört zu den wesentlichen Führungsauf-
gaben des Vorgesetzten, einen etwaigen
Suchtmittelmissbrauch zu erkennen und
konsequent zu reagieren. Der Vorgesetz-
te, der etwa eine Alkoholisierung seines
Mitarbeiters feststellt, hat diesem nicht
nur die Weiterarbeit zu untersagen und
dessen sicheren Heimtransport zu ver-
anlassen. Er hat ihn auch in nüchternem
Zustand in einem sogenannten Interventi-
onsgespräch zur Rede zu stellen.
Eine rechtliche Pflicht, Präventions-,
Früherkennungs- und Maßnahmenpro-
gramme für Suchtgefährdete vorzuhal-
ten oder durchzuführen gibt es aber nur,
wenn der Arbeitgeber sich – etwa in einer
Betriebsvereinbarung – selbst verpflich-
tet hat. Andernfalls muss er selbst bei Be-
obachtung riskanten Konsumverhaltens
oder beim Verdacht einer Suchterkran-
kung so lange nicht eingreifen, bis die
Gefahr einer arbeitsbezogenen Auswir-
kung konkret im Raum steht.
Wie wirken sich suchtbedingte Ausfall-
erscheinungen auf das Entgelt aus?
Die
sechswöchige
Entgeltfortzah-
lungspflicht gemäß § 3 Entgeltfortzah-
lungsgesetz (EFZG) besteht nur bei
unverschuldeter krankheitsbedingter
Verhinderung. Ein übermäßiger Alko-
holkonsum am Vorabend mit der Folge
der Unpässlichkeit am nächsten Ar-
beitstag ist grundsätzlich verschuldet.
Gleiches gilt für Fälle, in denen der Mit-
arbeiter unter Suchtmitteleinfluss im
Betrieb erscheint und nicht zur Erbrin-
gung der Arbeitsleistung in der Lage ist.
Dann entfällt der Entgeltanspruch des
Mitarbeiters (§ 326 Abs. 1 BGB).
Anders ist dies allerdings im Falle
krankheitswertiger Sucht. Kann ein
Mitarbeiter seinen Konsum nicht mehr
steuern und wird daher infolge seiner
Sucht arbeitsunfähig, geht die Recht-
sprechung nicht von Verschulden im
Sinne des EFZG aus. Eine Verweigerung
der sechswöchigen Entgeltfortzahlung
ist damit im Falle eines krankheitswer-
tig suchtmittelabhängigen Mitarbeiters
praktisch nicht durchsetzbar.
Ist im Fall der Sucht beim Mitarbeiter
ein BEM durchzuführen?
Ist ein Mitarbeiter infolge einer Abhän-
gigkeitserkrankung innerhalb eines
Jahres länger als sechs Wochen unun-
terbrochen oder wiederholt arbeitsunfä-
hig, ist die Durchführung eines Betrieb-
lichen
Eingliederungsmanagements
(BEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX anzu-
bieten. Gelingt es, Entziehungskur und
Suchttherapie als Ergebnis eines BEM
auf den Weg zu bringen, ist ein Idealziel
erreicht. Häufig leugnen aber Betroffe-
ne das Vorliegen einer Sucht oder erklä-
ren Fehlzeiten mit Folgeerkrankungen.
Bleibt jedoch die Suchterkrankung un-
behandelt, sind andere BEM-Maßnah-
men meist wenig erfolgversprechend.
Was setzt eine Kündigung bei sucht-
bedingtem Fehlverhalten voraus?
Nach der Rechtsprechung ist zu unter-
scheiden, ob es sich um vorwerfbares
Fehlverhalten aufgrund Suchtmittelkon-
sums oder um eine krankheitswertige
Suchtmittelabhängigkeit handelt.
Liegt keine Suchtmittelabhängigkeit
vor, so sind die Voraussetzungen einer
verhaltensbedingten Kündigung zu prü-
fen. Versetzt sich der Mitarbeiter ent-
gegen § 15 Abs. 2 BGV A 1 durch den
Konsum von Alkohol, Drogen oder an-
deren berauschenden Mitteln in einen
Zustand, durch den er sich selbst oder
andere gefährden kann, so verstößt er
gegen seine arbeitsvertraglichen Pflich-
ten. Dabei kann hinzukommen, dass der
Mitarbeiter im berauschten Zustand wei-
tere Pflichtverletzungen begeht. Wieder-
holt sich dies trotz Abmahnung, so kann
hierauf eine Kündigung gestützt werden,
wobei zusätzlich eine umfassende Inte-
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