personalmagazin 10/2015 - page 16

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TITEL
_SUCHT AM ARBEITSPLATZ
personalmagazin 10/15
E
in Auszug aus einem Feldpost-
brief: „Der Dienst ist stramm,
und ihr müsst verstehen, wenn
ich späterhin Euch nur alle zwei
bis vier Tage schreibe. Heute schreibe
ich hauptsächlich um Pervitin. Euer
Hein“. Hinter dem Hein, der um Pervitin
bettelte, steckte der damalige Gefreite
Heinrich Böll, späterer Literaturnobel-
preisträger. Pervitin war zu der Zeit der
Markenname von N-Methylamphetamin.
Im Zweiten Weltkrieg wurden Millionen
Soldaten an der Front mit der „Wunder-
pille“, wie sie die englische Presse be-
zeichnete, versorgt, um die Müdigkeit
auf den stundenlangen Märschen und
die Angst in den Schützengräben zu
Von
Heinz Kowalski
verkraften. Viele wurden süchtig, auch
Böll. „Panzerschokolade“ nannten die
Soldaten die Droge, die nur kurz zur
Leistungssteigerung führte, bei vielen
aber Abhängigkeit, Depressionen und
Herzrasen mit tödlichem Ausgang zur
Folge hatte.
Nach dem Krieg gingen Herstellung
und Verbrauch der Muntermacher dra-
stisch zurück. Der Tiroler Extremberg-
steiger Hermann Buhl nutzte Pervitin
bei seiner 48-stündigen Erstbesteigung
des 8.125 m hohen Nanga Parbat im Hi-
malaya als Wachmacher und die Deut-
sche Nationalmannschaft stand 1954
beim Wunder von Bern im Verdacht,
unwissentlich vom Mannschaftsarzt mit
Pervitin gedopt worden zu sein. 1988
wurde Pervitin vom Markt genommen.
In Deutschland ist der Besitz von Meth-
amphetamin strafbar. Über Heimkehren-
de vom Vietnam-Krieg in den USA und
als „Lastwagenfahrerdroge“ verschwan-
den Pervitin und die verwandten Mit-
tel jedoch nie gänzlich vom (illegalen)
Markt.
Crystal Meth als Muntermacher
für Workaholics
Im letzten Jahrzehnt erlebte Metham-
phetamin unter neuem Namen, „Crystal
Meth“, einen Aufschwung als Partydro-
ge und bei Workaholics. Die Drogenbe-
auftragte der Bundesregierung, Marle-
ne Mortler, hat in ihrem Drogenbericht
darauf hingewiesen, dass der Verbrauch
seit 2009 drastisch zunimmt. Richtig
bekannt in der Öffentlichkeit wurde
das Problem durch Ermittlungen gegen
einen Bundestagsabgeordneten, der zu-
gab, Crystal Meth konsumiert zu haben.
Jetzt stürzten sich auch die Tagesmedi-
en auf das Thema Gehirndoping. Dabei
hatten schon das Robert Koch Institut,
die Krankenkasse DAK und viele ande-
re aus der Präventionsszene rechtzeitig
auf den neuen und gefährlichen Trend
unter dem Sammelbegriff Neuroenhan-
cement für Hirndoping hingewiesen.
Zunächst waren Studenten als Konsu-
menten im Verdacht, was sich aber in
Studien nur teilweise bestätigte. Im-
merhin führten diese Untersuchungen
dazu, dass es nicht mehr um Soldaten,
Bergsteiger oder Lastwagenfahrer ging,
sondern insgesamt um das Arbeitsle-
ben, mit entgrenzter Arbeit, steigendem
Druck und zunehmenden psychischen
Erkrankungen. Im aktuellen Drogenbe-
Die Droge der Jobdoper
TATSACHEN.
Gehirndoping am Arbeitsplatz beschränkt sich längst nicht mehr auf
verschreibungspflichtige Medikamente. Crystal Meth und Ecstasy breiten sich aus.
Ecstasy und Crystal Meth
breiten sich immer stärker
auch am Arbeitsplatz aus.
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