personalmagazin_2015_09 - page 78

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RECHT
_ARBEITSUNFALL
personalmagazin 09/15
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
haben, denn es nahm den nächsten (ver-
gleichbaren) Trinkunfall zum Anlass,
eine Einstufung als Arbeitsunfall abzu-
lehnen. Im sogenannten „Cola-Mix-Fall“
(Urteil vom 10. Oktober 2002, Az. B 2 U
6/0 R) hatte sich ein Mitarbeiter beim
Öffnen einer Flasche böse verletzt, als
ihm der „Deckel der Flasche ins Auge
schoss“. Wie im Sprudelwasserfall nahm
das BSG zunächst an, dass die Tätigkeit
aufgrund einer großen Staubbelastung
grundsätzlich geeignet war, ein das nor-
male, typische Trinkbedürfnis überstei-
gende Durstgefühl hervorzurufen. Das
Trinken diente damit wesentlich dem
Erhalt der Arbeitsfähigkeit.
Wann wird atypischer Durst gelöscht?
Dann folgte jedoch eine neue, spitzfindi-
ge Anforderung an ein atypisches Trink-
verhalten. Es müsse auch die konkrete
Trinkmenge festgestellt werden, die der
Arbeitnehmer am gesamten Arbeits-
tag zu sich genommen habe. Da dieser
aber vor dem Öffnen der unfallauslösen-
den Flasche erst eine Flasche Cola-Mix
geöffnet und diese noch nicht einmal
vollständig leergetrunken habe, habe er
die unfallauslösende zweite Flasche gar
nicht im Hinblick auf den besonderen
betriebsbedingten Durst, sondern in
Ausübung seiner normalen – privaten –
Trinkgewohnheiten geöffnet.
Wer darlegen will, dass er „betriebli-
chen Durst“ hatte, der muss also nicht
nur Ausführungen dazu machen, dass
sein Arbeitsplatz staubig, heiß oder aus
anderen Gründen durstauslösend wirkt.
Er sollte auch noch beweisen können,
dass zum Zeitpunkt eines Unfalls der pri-
vate Durst bereits gestillt und er in die
vom Arbeitgeber zu vertretende atypi-
sche Durstlöschung gewechselt ist.
Arbeitsunfall unterwegs zum Essen
Genauso wie die Nahrungsaufnahme
grundsätzlich Privatsache ist, gilt umge-
kehrt: Der Weg zur Nahrungsaufnahme
gehört grundsätzlich noch zur versicher-
ten betrieblichen Tätigkeit. Auch in die-
sem Bereich muss die Rechtsprechung
Über die Einordnung als Arbeitsunfall streiten sich oft nicht Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer, sondern die Leistungsträger untereinander. Dabei verhindern Vorschriften
aus dem SGB I, dass sich der Streit unnötig in die Länge zieht.
Wie ein Blick in die Rechtsprechung zeigt, kann man häufig trefflich darüber diskutie-
ren, ob noch ein Arbeitsunfall oder schon ein Privatunfall vorliegt. Oft streiten sich darü-
ber jedoch nicht die Mitarbeiter oder Arbeitgeber, sondern die verschiedenen Leistungs-
träger. In einem Grenzfall wird die Berufsgenossenschaft (BG) behaupten, es liege kein
Arbeitsunfall vor. Die gesetzliche Krankenkasse wird einwenden, dass es kein Versiche-
rungsfall der Kranken-, sondern einer der gesetzlichen Unfallversicherung sei. In dieser
Situation wäre es fatal, wenn der Streit unter den Institutionen zulasten des Versicher-
ten ginge und Leistungen, wie notwendige Reha-Maßnahmen, bis zum Ende des Streits
auf die lange Bank geschoben würden. Dies verhindert eine weitgehend unbekannte
Vorschrift aus dem SGB I. Darin ist geregelt, dass beim Zuständigkeitsstreit zwischen
unterschiedlichen Leistungsträgern der „zuerst angegangene Leistungsträger vorläufig
Leistungen erbringen kann“. Richtig hilfreich wird dies, weil der zuerst angegangene
Leistungsträger sogar verpflichtet ist zu leisten, wenn „der Berechtigte es beantragt“
(§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I). Wer daher die Möglichkeit sieht, einen auf den ersten Blick
privat erscheinenden Unfall als Arbeitsunfall feststellen zu lassen, sollte von Beginn an
die BG angehen – und bei einer Ablehnung deren Leistungen vorläufig einfordern.
Wenn sich BG und Krankenkasse streiten
RECHTSSTREIT
Die Grundsätze über das Vorliegen eines Arbeitsunfalls sind auch anzuwenden, wenn
Arbeitnehmer ihre Tätigkeit ganz oder teilweise im Homeoffice durchführen. Das
macht die Abgrenzung jedoch nicht leichter.
Im Homeoffice tut sich die Rechtsprechung mit der Unterscheidung von privater und
betrieblicher Tätigkeit schwer. Die gewohnte Abgrenzung mittels „Außentürtheorie“
ist schlicht nicht möglich, wenn Wohnraum und Betriebsstätte zusammenfallen. Das
Landessozialgericht Baden-Württemberg hat sich in einer Entscheidung vom 9. Februar
2015 (Az. L 1 U 1882714) mit diesem Problem beschäftigt. Fraglich war, ob ein Arbeitsun-
fall auf dem Weg vom Arbeitszimmer zur Tür anzunehmen ist, weil der Postbote klingelt.
Zunächst stellten die Richter klar: Theoretisch können alle Unfälle innerhalb des beruflich
genutzten Wohnraums einer versicherten Tätigkeit zurechenbar sein, soweit diese auf-
grund ihrer „Handlungstendenz der Ausübung der Versicherten-Tätigkeit dienen“. Um der
Abgrenzung von Arbeits- und Privatunfall im Homeoffice beizukommen, seien solche be-
triebsdienlichen Handlungstendenz zu ermitteln. Mit anderen Worten: Die Richter müssen
anhand objektiver Tatsachen herausfinden, was der Mitarbeiter bei der unfallauslösenden
Tätigkeit gedacht hat. Die Entscheidung zeigt: Es ist möglich, einen zeit- und raumun-
abhängigen 24-Stunden-Unfallversicherungsschutz im Homeoffice zu reklamieren. Vo-
raussetzung: Man kann plausibel Tatsachen vortragen, die die geforderte „betriebliche
Handlungstendenz“ erkennen lassen – wenn also zum Beispiel ein Homeoffice-Mitar-
beiter plausibel erklärt, dass er generell mit betrieblicher Post für Büromaterial rechnet.
Unfälle auf dem Weg zum Postboten wären dann Arbeitsunfälle. Das Urteil, das vorab
als Pressemitteilung vorliegt, zeigt aber auch, dass bei solchen Mitteilungen Vorsicht
geboten ist: Die konkrete Ablehnung als Arbeitsunfall muss keine grundsätzliche Entschei-
dung sein. Offenbar haben es die Richter dem Mitarbeiter hier nicht abgenommen, dass
dieser beim Gang zur Haustür eine betriebliche Handlungstendenz in sich getragen hat.
Der 24-Stunden-Versicherungsschutz?
HOMEOFFICE
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