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RECHT
_BEM
personalmagazin 09/15
Der Arbeitgeber kann den Arbeitneh-
mer nicht zwingen, eine Rehabilitations-
maßnahme zu beantragen. Daher muss
er ihn – je nach Fall unter Ankündigung
einer möglichen Kündigung bei Unter-
lassen – auffordern, innerhalb einer
angemessenen Frist Kontakt mit der
gemeinsamen Servicestelle der Rehabi-
litationsträger aufzunehmen, eine Reha-
bilitationsleistung zu beantragen oder
eine genehmigte Leistung in Anspruch
zu nehmen.
Zwar entspringt der Hinweis auf die
Kündigung bei Unterlassen der Mitwir-
kung einer gewissen Logik. Personalpo-
litisch dürfte dies aber eine verheerende
Wirkung haben. Nicht jeder Arbeitgeber,
der ein BEM initiiert, hat im Hinterkopf,
das Arbeitsverhältnis auch in abseh-
barer Zeit krankheitsbedingt zu been-
den. Für die Motivation des Mitarbeiters,
der unverschuldet erkrankt ist, dürfte
der Hinweis daher kontraproduktiv sein.
BEM als Voraussetzung für Kündigung?
Versäumt es der Arbeitgeber, ein BEM
durchzuführen, trifft ihn im Kündi-
gungsschutzverfahren eine erweiterte
Darlegungs- und Beweislast. Gleiches
gilt, wenn er zwar zum BEM eingeladen
hat, die erteilten Hinweise aber nicht
den Anforderungen der Rechtsprechung
gerecht werden. Die ordnungsgemäße
Durchführung des BEM ist damit keine
formale Voraussetzung für die perso-
nenbedingte Kündigung. Gelingt es dem
Arbeitgeber allerdings nicht, nachzu-
weisen, dass kein milderes Mittel – wie
beispielsweise die Umgestaltung des
bisherigen Arbeitsbereichs oder die
Weiterbeschäftigung auf einem ande-
ren, leidensgerechten Arbeitsplatz – zur
Vermeidung der Kündigung zur Verfü-
gung standen, ist diese unwirksam.
Der Arbeitgeber muss also darlegen,
dass sich auch im Zusammenhang mit
dem BEM kein milderes Mittel ergeben
hätte. Gerade im Hinblick auf die Reha-
bilitationsbedarfe und die Möglichkeit
der Inanspruchnahme von (externen)
Rehabilitationsleistungen wird dies für
den Arbeitgeber eine schlichtweg un-
mögliche Darlegung sein.
Damit bekommt die Pflicht zum BEM
letztlich doch den Charakter einer for-
mellen Voraussetzung. Umgekehrt pro-
fitiert derjenige Arbeitgeber, der das
BEM ordnungsgemäß durchführt, hier-
von im Kündigungsschutzprozess. Hat
das BEM ergeben, dass keine internen
oder externen Möglichkeiten bestehen,
die Arbeitsunfähigkeit zu beenden oder
zu verringern, genügt im Kündigungs-
schutzprozess die Behauptung des Ar-
beitgebers, es gäbe keine alternativen
Beschäftigungsmöglichkeiten. Dem
Arbeitnehmer bleibt dann nur darzule-
gen, dass sich zwischen Beendigung des
BEM und Ausspruch der Kündigung ei-
ne neue alternative Beschäftigungsmög-
lichkeit ergeben hätte (BAG, Urteil vom
10. Dezember 2009, Az. 2 AZR 400/08).
Bislang ungeklärt ist, was passiert,
wenn es der Arbeitgeber einmal oder
mehrfach versäumt, ein BEM einzuleiten
und nach Durchführung eines BEM in
einem weiteren Jahr krankheitsbedingt
kündigt. Möglicherweise wird ihm vor-
gehalten, dass die weiteren Zeiten der
Arbeitsunfähigkeit vermeidbar gewesen
wären, wenn er bereits im ersten Jahr
Maßnahmen eingeleitet hätte. Allein aus
diesem Grund sollte der Arbeitgeber die
Pflicht des § 84 Abs. 2 SGB IX auch dann
einhalten, wenn er noch nicht an eine
krankheitsbedingte Kündigung denkt.
BEM im kleinen und großen Betrieb
Keine Auswirkung hat die fehlende oder
nicht ordnungsgemäße Durchführung
des BEM im Kleinbetrieb, in dem kein
Kündigungsschutz gilt (nicht mehr als
zehn Arbeitnehmer). Zwar ist der Ar-
beitgeber auch dort zur Durchführung
eines BEM verpflichtet. Da die Kündi-
gung aber nicht nach § 1 Abs. 2 Kündi-
gungsschutzgesetz sozial gerechtfertigt
sein muss, wirkt sich die Pflichtverlet-
zung nicht auf deren Wirksamkeit aus.
Um den strengen Anforderungen der
Rechtsprechung gerecht zu werden, bie-
tet sich an, das BEM im Unternehmen
zu formalisieren und für die einzelnen
Schritte Musterschreiben oder Formu-
lare zu entwerfen, damit der handelnde
HR-Mitarbeiter verlässliches Material
zur Verfügung hat.
DR. ROMAN FRIK
ist Fach-
anwalt für Arbeitsrecht bei
Vogel & Partner Rechtsanwäl-
te in Stuttgart.
Folgende Mindestanforderungen haben Arbeitgeber zu befolgen, wenn sie betroffene
Mitarbeiter zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) einladen.
•
Beschreibung des BEM und seiner Ziele
•
Suche nach Möglichkeiten, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden
•
Suche nach Leistungen oder Hilfen, um erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und
den Arbeitsplatz zu erhalten
•
Ankündigung, je nach Situation, den Betriebsrat, Betriebs- oder Werksarzt, behan-
delnden Arzt, Rehabilitationsträger oder das Integrationsamt hinzuzuziehen
•
Art und Umfang der zu erhebenden und zu verwendenden Daten; gegebenenfalls
späterer Abschluss einer Datenschutzvereinbarung
•
Einverständnis des Arbeitnehmers zur Durchführung des BEM
•
Hinweis auf die Wichtigkeit des BEM für die Weiterbeschäftigung; gegebenenfalls
Androhung einer Kündigung
Richtig Einladen zum BEM
CHECKLISTE