 
          74
        
        
          
            RECHT
          
        
        
          _BEM
        
        
          personalmagazin  09/15
        
        
          Der Arbeitgeber kann den Arbeitneh-
        
        
          mer nicht zwingen, eine Rehabilitations-
        
        
          maßnahme zu beantragen. Daher muss
        
        
          er ihn – je nach Fall unter Ankündigung
        
        
          einer möglichen Kündigung bei Unter-
        
        
          lassen – auffordern, innerhalb einer
        
        
          angemessenen Frist Kontakt mit der
        
        
          gemeinsamen Servicestelle der Rehabi-
        
        
          litationsträger aufzunehmen, eine Reha-
        
        
          bilitationsleistung zu beantragen oder
        
        
          eine genehmigte Leistung in Anspruch
        
        
          zu nehmen.
        
        
          Zwar entspringt der Hinweis auf die
        
        
          Kündigung bei Unterlassen der Mitwir-
        
        
          kung einer gewissen Logik. Personalpo-
        
        
          litisch dürfte dies aber eine verheerende
        
        
          Wirkung haben. Nicht jeder Arbeitgeber,
        
        
          der ein BEM initiiert, hat im Hinterkopf,
        
        
          das Arbeitsverhältnis auch in abseh-
        
        
          barer Zeit krankheitsbedingt zu been-
        
        
          den. Für die Motivation des Mitarbeiters,
        
        
          der unverschuldet erkrankt ist, dürfte
        
        
          der Hinweis daher kontraproduktiv sein.
        
        
          BEM als Voraussetzung für Kündigung?
        
        
          Versäumt es der Arbeitgeber, ein BEM
        
        
          durchzuführen, trifft ihn im Kündi-
        
        
          gungsschutzverfahren eine erweiterte
        
        
          Darlegungs- und Beweislast. Gleiches
        
        
          gilt, wenn er zwar zum BEM eingeladen
        
        
          hat, die erteilten Hinweise aber nicht
        
        
          den Anforderungen der Rechtsprechung
        
        
          gerecht werden. Die ordnungsgemäße
        
        
          Durchführung des BEM ist damit keine
        
        
          formale Voraussetzung für die perso-
        
        
          nenbedingte Kündigung. Gelingt es dem
        
        
          Arbeitgeber allerdings nicht, nachzu-
        
        
          weisen, dass kein milderes Mittel – wie
        
        
          beispielsweise die Umgestaltung des
        
        
          bisherigen Arbeitsbereichs oder die
        
        
          Weiterbeschäftigung auf einem ande-
        
        
          ren, leidensgerechten Arbeitsplatz – zur
        
        
          Vermeidung der Kündigung zur Verfü-
        
        
          gung standen, ist diese unwirksam.
        
        
          Der Arbeitgeber muss also darlegen,
        
        
          dass sich auch im Zusammenhang mit
        
        
          dem BEM kein milderes Mittel ergeben
        
        
          hätte. Gerade im Hinblick auf die Reha-
        
        
          bilitationsbedarfe und die Möglichkeit
        
        
          der Inanspruchnahme von (externen)
        
        
          Rehabilitationsleistungen wird dies für
        
        
          den Arbeitgeber eine schlichtweg un-
        
        
          mögliche Darlegung sein.
        
        
          Damit bekommt die Pflicht zum BEM
        
        
          letztlich doch den Charakter einer for-
        
        
          mellen Voraussetzung. Umgekehrt pro-
        
        
          fitiert derjenige Arbeitgeber, der das
        
        
          BEM ordnungsgemäß durchführt, hier-
        
        
          von im Kündigungsschutzprozess. Hat
        
        
          das BEM ergeben, dass keine internen
        
        
          oder externen Möglichkeiten bestehen,
        
        
          die Arbeitsunfähigkeit zu beenden oder
        
        
          zu verringern, genügt im Kündigungs-
        
        
          schutzprozess die Behauptung des Ar-
        
        
          beitgebers, es gäbe keine alternativen
        
        
          Beschäftigungsmöglichkeiten. Dem
        
        
          Arbeitnehmer bleibt dann nur darzule-
        
        
          gen, dass sich zwischen Beendigung des
        
        
          BEM und Ausspruch der Kündigung ei-
        
        
          ne neue alternative Beschäftigungsmög-
        
        
          lichkeit ergeben hätte (BAG, Urteil vom
        
        
          10. Dezember 2009, Az. 2 AZR 400/08).
        
        
          Bislang ungeklärt ist, was passiert,
        
        
          wenn es der Arbeitgeber einmal oder
        
        
          mehrfach versäumt, ein BEM einzuleiten
        
        
          und nach Durchführung eines BEM in
        
        
          einem weiteren Jahr krankheitsbedingt
        
        
          kündigt. Möglicherweise wird ihm vor-
        
        
          gehalten, dass die weiteren Zeiten der
        
        
          Arbeitsunfähigkeit vermeidbar gewesen
        
        
          wären, wenn er bereits im ersten Jahr
        
        
          Maßnahmen eingeleitet hätte. Allein aus
        
        
          diesem Grund sollte der Arbeitgeber die
        
        
          Pflicht des § 84 Abs. 2 SGB IX auch dann
        
        
          einhalten, wenn er noch nicht an eine
        
        
          krankheitsbedingte Kündigung denkt.
        
        
          BEM im kleinen und großen Betrieb
        
        
          Keine Auswirkung hat die fehlende oder
        
        
          nicht ordnungsgemäße Durchführung
        
        
          des BEM im Kleinbetrieb, in dem kein
        
        
          Kündigungsschutz gilt (nicht mehr als
        
        
          zehn Arbeitnehmer). Zwar ist der Ar-
        
        
          beitgeber auch dort zur Durchführung
        
        
          eines BEM verpflichtet. Da die Kündi-
        
        
          gung aber nicht nach § 1 Abs. 2 Kündi-
        
        
          gungsschutzgesetz sozial gerechtfertigt
        
        
          sein muss, wirkt sich die Pflichtverlet-
        
        
          zung nicht auf deren Wirksamkeit aus.
        
        
          Um den strengen Anforderungen der
        
        
          Rechtsprechung gerecht zu werden, bie-
        
        
          tet sich an, das BEM im Unternehmen
        
        
          zu formalisieren und für die einzelnen
        
        
          Schritte Musterschreiben oder Formu-
        
        
          lare zu entwerfen, damit der handelnde
        
        
          HR-Mitarbeiter verlässliches Material
        
        
          zur Verfügung hat.
        
        
          
            DR. ROMAN FRIK
          
        
        
          ist Fach-
        
        
          anwalt für Arbeitsrecht bei
        
        
          Vogel & Partner Rechtsanwäl-
        
        
          te in Stuttgart.
        
        
          Folgende Mindestanforderungen haben Arbeitgeber zu befolgen, wenn sie betroffene
        
        
          Mitarbeiter zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) einladen.
        
        
          •
        
        
          Beschreibung des BEM und seiner Ziele
        
        
          •
        
        
          Suche nach Möglichkeiten, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden
        
        
          •
        
        
          Suche nach Leistungen oder Hilfen, um erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und
        
        
          den Arbeitsplatz zu erhalten
        
        
          •
        
        
          Ankündigung, je nach Situation, den Betriebsrat, Betriebs- oder Werksarzt, behan-
        
        
          delnden Arzt, Rehabilitationsträger oder das Integrationsamt hinzuzuziehen
        
        
          •
        
        
          Art und Umfang der zu erhebenden und zu verwendenden Daten; gegebenenfalls
        
        
          späterer Abschluss einer Datenschutzvereinbarung
        
        
          •
        
        
          Einverständnis des Arbeitnehmers zur Durchführung des BEM
        
        
          •
        
        
          Hinweis auf die Wichtigkeit des BEM für die Weiterbeschäftigung; gegebenenfalls
        
        
          Androhung einer Kündigung
        
        
          Richtig Einladen zum BEM
        
        
          
            CHECKLISTE