personalmagazin_2015_09 - page 83

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09/15 personalmagazin
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Das Interview führte
Michael Miller.
PROF. DR. MARTIN HENSSLER
ist
Geschäftsführender Direktor des Instituts
für Arbeits- und Wirtschaftsrecht an der
Universität zu Köln.
der jüngeren Arbeitsrechtsgeschichte.
Es musste schon nach wenigen Monaten
aufgrund der Fehlanreize komplett revi-
diert werden. Jetzt sollen erneut einzel-
ne, und zudem überholte Missbräuche
zum Anlass für eine völlige Überreakti-
on genommen werden.
personalmagazin:
Was gibt das BAG vor?
Henssler:
Die Rechtsprechung weist
grundsätzlich die notwendige Flexibi-
lität auf, um bei der Abgrenzung der
verdeckten Leiharbeit von zulässigen
Werkverträgen neu auftretende Umge-
hungsstrategien wirksam einzudäm-
men. Nicht der Inhalt der vertraglichen
Vereinbarungen ist aus ihrer Sicht
entscheidend, sondern die tatsächli-
che Durchführung des Vertrags. Die
Absprachen bieten nur erste Anhalts-
punkte. Die Rechtsprechung verzichtet
bei der Grenzziehung auf schematische
Lösungen und nimmt stattdessen über-
zeugend eine Gesamtschau aller Um-
stände vor. Maßgebliche Merkmale sind
die Eingliederung in den Betrieb des
Auftraggebers und die Ausübung des
arbeitsbezogenen Weisungsrechts als
Ausdruck der Personalhoheit. Diese Kri-
terien sind jedoch nicht auf die Anforde-
rungen der Digitalisierung und der mo-
dernen Projektformen zugeschnitten.
personalmagazin:
Inwiefern?
Henssler:
Hier geht es um ein Angebot
von hochkomplexen Dienstleistungen,
das exakt auf die Bedürfnisse des Ein-
satzbetriebs abgestimmt werden muss.
Dabei kommt es zwangsläufig zu einer
sehr engen Zusammenarbeit der inter-
nen und externen Mitarbeiter, wobei
werkbezogene und arbeitsbezogene
Weisungen an die externen Berater
nicht immer einfach zu trennen sind.
Die zielführende Zusammenarbeit er-
fordert genaue Vorgaben, die zudem
durch den Auftraggeber laufend zu kon-
kretisieren sind. Der von der Rechtspre-
chung geforderte exakt abgrenzbare
und schon zu Vertragsbeginn konkre-
tisierbare Vertragsgegenstand existiert
bei diesen modernen Beratungsfeldern
häufig nicht. Vielmehr begnügt sich die
inhaltliche Leistungsbeschreibung im
Werkvertrag mit einer eher schemen-
haften Umschreibung des Produkts so-
wie einem Aktivitäten- und Fristenplan,
kombiniert mit konkreten Mitwirkungs-
pflichten des Auftraggebers.
personalmagazin:
Was sind Ihre Lösungen?
Henssler:
Auf die gezeigten Problembe-
reiche muss unterschiedlich reagiert
werden. Zum einen benötigen wir ein
verbessertes Beratungsangebot für aus-
ländische Arbeitnehmer, die zu uner-
träglichen Arbeitsbedingungen beschäf-
tigt werden, ihre unstreitig bestehenden
Rechte aber aus Unkenntnis nicht wahr-
nehmen. Sinnvolle Maßnahmen sind
insoweit eigens eingerichtete Bera-
tungsstellen und sonstige Beratungs-
kapazitäten für mobile ausländische
Beschäftigte. Zum zweiten brauchen wir
dringend mehr Rechtssicherheit für die-
jenigen Beratungsunternehmen, die ge-
rade im Bereich der Digitalisierung der
Wirtschaft Dienstleistungen anbieten.
Sie dürfen nicht künstlich in die unpas-
sende Leiharbeit gedrängt werden. Die
Rechtssicherheit ließe sich etwa durch
einen Positivkatalog erreichen, der bei
Vorliegen bestimmter Kriterien die Be-
handlung als Werkvertrag sicherstellt.
personalmagazin:
Was wären da Kriterien?
Henssler:
Typische Merkmale für zuläs-
sige Werkverträge könnten etwa sein,
dass die Dienstleistung spezifisches
Know-how erfordert, auf das sich das
Beratungsunternehmen
spezialisiert
hat, und dass dessen Mitarbeiter spezi-
alisierte Berater im Bereich Ingenieur-
wesen, EDV-Technik, Digitalisierung,
neue Medien oder Industrie 4.0 sind.
Auch eine eigene Mitarbeiterschulung
und Personalentwicklung könnte ein
weiteres Kriterium für zulässige Werk-
verträge sein sowie: Das Beratungsun-
ternehmen arbeitet mit festangestell-
tem Personal und ist auch für andere
Auftraggeber tätig, die einen vergleich-
baren Beratungsbedarf haben. Auch
sollte die Personalhoheit beim externen
Dienstleister liegen, der – nach Möglich-
keit – über eine Leiharbeitserlaubnis
verfügt. Weitere Merkmale wären, dass
der Dienstleister seinen Mitarbeitern
branchenübliche Löhne auf der Grund-
lage eines eigenständigen Vergütungs-
systems zahlt oder selbst tarifgebunden
ist, und: Die Arbeitnehmer verzichten
in gesonderter Erklärung spätestens
zu Beginn des Einsatzes auf den Status
eines Leiharbeitnehmers. Dieses Wahl-
recht des Arbeitnehmers stellt lediglich
eine zusätzliche Schutzkomponente dar.
personalmagazin:
Sie hatten es erwähnt:
Der Versuch, mit festgeschriebenen Krite-
rien zu arbeiten, ist vor Jahren geschei-
tert. Warum soll es jetzt klappen?
Henssler:
Man kann den von mir ange-
dachten Positivkatalog nicht mit der
umgekehrten Konstellation des Negativ-
katalogs des § 7 Abs. 4 SGB IV, alte Fas-
sung, vergleichen. Es geht nicht darum,
Unternehmen ohne sachlichen Grund in
einen nicht passenden und nicht gewoll-
ten Vertragstyp zu zwingen. Vielmehr
sollen zusätzliche Kriterien bei einem
allseits gewollten Vertragstyp sicher-
stellen, Arbeitnehmerrechte zu wahren
und Rechtssicherheit zu bieten.
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