82
RECHT
_WERKVERTRÄGE
personalmagazin 09/15
auftretende Unternehmen befürchten
derzeit aufgrund einer verbreiteten
Rechtsunsicherheit, letztlich von den
Mitarbeitern der Beratungsunterneh-
men in Anspruch genommen zu wer-
den, die ihren Arbeitnehmerstatus bei
ihnen einklagen. Sie drängen daher
die Beratungsunternehmen in die nicht
passende Leiharbeit, um für sich selbst
Rechtssicherheit zu erhalten. Außerdem
ist zu beobachten, dass mobile auslän-
dische Arbeitnehmer, die nicht gewerk-
schaftlich vertreten sind, ihre eindeu-
tigen Rechte nicht wahrnehmen. Hier
besteht Handlungsbedarf.
personalmagazin:
Taugen die vorliegenden
Vorschläge dazu, die Probleme zu lösen?
Henssler:
Sowohl die bisher erarbeiteten
Gesetzesvorschläge als auch die im Ko-
alitionsvertrag angedachte Kodifikation
der Rechtsprechungsgrundsätze sind
im Gegenteil sogar völlig ungeeignet.
Die Festschreibung der Rechtsprechung
ist aufgrund der Vielfalt der Fallkon-
stellationen allenfalls auf einem sehr
hohen Abstraktionsniveau möglich und
wird daher die Rechtsanwendung nicht
befördern. Der Vorschlag eines Negativ-
katalogs, nach dem bei Vorliegen einer
bestimmten Anzahl von Indizien eine
verdeckte
Arbeitnehmerüberlassung
vermutet wird, wiederholt die Fehler
der Vergangenheit. Er erinnert fatal an
das sogenannte arbeits- und sozialver-
sicherungsrechtliche Korrekturgesetz
vom Dezember 1998. Dieses Gesetz, ins-
besondere die mit den neuen Vorschlä-
gen vergleichbare Reform des § 7 Abs.
4 SGB IV, war wohl der größte Flop in
„Ganz andere Praxisprobleme“
INTERVIEW.
Arbeitsministerin Andrea Nahles möchte demnächst die Vorschriften zum
Werkvertrag regulieren. Mit falschem Ansatz, wie Professor Martin Henssler findet.
personalmagazin:
Die Arbeitsministerin hat
einen Gesetzentwurf zum Fremdperso-
naleinsatz für den Herbst angekündigt.
In welchen Bereichen besteht Bedarf, die
Regeln zu Werkverträgen zu begrenzen?
Martin Henssler:
Die Koalition hat sich
vorgenommen, Missbräuchen bei Werk-
verträgen durch eine Kodifizierung der
Rechtsprechung zu begegnen. Zwar ist
zu konzedieren, dass es solcheMissbräu-
che tatsächlich gegeben hat, etwa in der
Fleischindustrie. Sie sind jedoch längst
erfolgreich bekämpft und inzwischen
nicht mehr zu beobachten. Die Recht-
sprechung hatte keine Schwierigkeiten,
derartige Problemfälle auf der Grundla-
ge ihrer bisherigen Entscheidungspra-
xis zu bewältigen und effektiven Arbeit-
nehmerschutz zu verwirklichen. Es gibt
daher kein Regelungsdefizit, sondern es
gab lediglich ein Rechtsdurchsetzungs-
defizit. Aufgrund der geänderten Situ-
ation ist derzeit aber nicht ersichtlich,
welche angeblichen Missstände heute
noch durch eine Kodifikation bekämpft
werden sollen. Es fehlt in eklatanter
Weise an einer aktuellen Aufarbeitung
der Rechtstatsachen, die aber im Vorfeld
einer derart einschneidenden Reform,
wie sie geplant ist, unverzichtbar wäre.
Meines Erachtens droht aus dem Blick
zu geraten, dass Werkverträge grund-
sätzlich völlig unproblematische, ja
sogar unverzichtbare Gestaltungen in
einer arbeitsteiligen Wirtschaft sind.
personalmagazin:
Es gibt also keinen An-
lass für eine gesetzliche Initiative?
Henssler:
Hinter den aktuellen Reform-
überlegungen steht in der Sache nicht
die Bekämpfung von Missbräuchen. Die
Befürworter wollen vielmehr durch Re-
gulierung dem allgemeinen Trend zur
Reduzierung der Stammbelegschaften
entgegenwirken. Damit verfolgen sie
ein verfassungsrechtlich nicht halt-
bares Anliegen. Jeder Unternehmer
kann nämlich frei entscheiden, welche
Produkte und Dienstleistungen er mit
eigenen Arbeitnehmern herstellt bezie-
hungsweise erbringt und welche er von
externen Anbietern zukauft.
personalmagazin:
Sie sehen keine Praxis-
probleme im Bereich der Werkverträge?
Henssler:
Es gibt Probleme in der Praxis,
allerdings auf einer ganz anderen Linie.
Durch die öffentliche Debatte über
Werkverträge sind ganz zu Unrecht
auch solche Dienstleistungen in Miss-
kredit geraten, bei denen ein unmittel-
barer Bedarf nach der Ausgestaltung als
Dienst- oder Werkvertrag besteht. Als
Auftraggeber von Beratungsleistungen
„In eklatanter Weise
fehlt eine aktuelle Auf-
arbeitung der Rechts-
tatsachen, die aber im
Vorfeld einer derart ein-
schneidenden Reform
unverzichtbar wäre.“