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          09/15  personalmagazin
        
        
          Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
        
        
        
          dürfnisse samt Rivalität um die Produk-
        
        
          te reduzieren die Leistungsfähigkeit von
        
        
          „Open Collaboration“ überraschender-
        
        
          weise kaum. Die Wissenschaftler prog-
        
        
          nostizieren daher eine weitere Zunah-
        
        
          me von offener Zusammenarbeit und
        
        
          bezeichnen sie als neuartige Organisa-
        
        
          tionsform, die eine echte Konkurrenz
        
        
          für traditionelle Unternehmen mit ihren
        
        
          starren Grenzen nach außen und har-
        
        
          schen Regeln nach innen bringt – zumal
        
        
          es bei vielen Individuen der westlichen
        
        
          Gesellschaften einen großen Willen und
        
        
          oft schon Drang zur Partizipation gibt.
        
        
          Für wen oder was das Ganze gilt
        
        
          Die offene Zusammenarbeit fordert das
        
        
          volkswirtschaftliche Menschenbild vom
        
        
          „Homo Oeconomicus“ mit seiner puren
        
        
          Ich-Bezogenheit heraus. Warum verhal-
        
        
          ten sich Menschen, zumindest viele und
        
        
          zumindest gelegentlich, uneigennützig
        
        
          ohne direkten persönlichen Vorteil? Die
        
        
          Studienautoren zitieren dazu eine ande-
        
        
          re, verhaltenswissenschaftliche Studie,
        
        
          die das ökonomische Axiom vom Ego-
        
        
          isten deutlich relativiert. Nach ihr gibt
        
        
          es in der Bevölkerung rund 13 Prozent
        
        
          uneigennützige Altruisten, eine große
        
        
          Mehrheit von 63 Prozent ausgewogen
        
        
          Kooperationsbereite, die nach dem Prin-
        
        
          zip „Ich gebe, damit du gibst“ agieren,
        
        
          und lediglich 20 Prozent selbstsüchtige
        
        
          Trittbrettfahrer. Sie widersprechen damit
        
        
          der von ihnen ebenfalls zitierten These
        
        
          von Edgeworth aus dem Jahr 1881: „Jeder
        
        
          Mensch ist ausschließlich durch sein Ei-
        
        
          geninteresse getrieben“.
        
        
          Die Studie unterstützt mit ihren Ergeb-
        
        
          nissen das humanistische Menschenbild.
        
        
          Ein Humanist sei – wie Jakob Augstein
        
        
          unlängst anmerkte – je nach den Umstän-
        
        
          den manchmal ein Linker, manchmal ein
        
        
          Konservativer, manchmal ein Liberaler,
        
        
          aber er kann nie ein Reaktionär sein.
        
        
          Also, lassen wir uns nicht allzu schnell
        
        
          von vermeintlichen ökonomischen Sach-
        
        
          zwängen einnebeln, sondern benutzen
        
        
          mit Selbstbewusstsein unseren gesun-
        
        
          den Menschenverstand, wenn es wie-
        
        
          der einmal heißt: Die Märkte erfordern
        
        
          dies und das. Menschen sind manchmal
        
        
          beitragswilliger als es die ökonomische
        
        
          Theorie und die harten Hunde im Ma-
        
        
          nagement wahrhaben möchten.
        
        
          Der wichtigste und der nachdenk
        
        
          lichste Satz
        
        
          Der wichtigste Satz in der Studie lautet:
        
        
          „Viele Menschen sind zu ihrem Beitrag
        
        
          für die offene Zusammenarbeit bereit,
        
        
          selbst wenn dieser mit Kosten für sie
        
        
          verbunden ist und eine Gegenleistung
        
        
          nicht garantiert wird“ (Seite 1.415).
        
        
          Der nachdenklichste Satz in der Studie:
        
        
          „Es gibt bei der offenen Zusammenarbeit
        
        
          eine sehr große Unausgewogenheit der
        
        
          individuellen Beiträge. Wenige uneigen-
        
        
          nützige Altruisten steuern sehr viel bei
        
        
          und die vielen anderen nur wenig bis
        
        
          nichts. Zudem gibt es zahlreiche Tritt-
        
        
          brettfahrer. Dennoch bricht die offene
        
        
          Zusammenarbeit nicht ein“ (Seite 1.417).
        
        
          Konsequenzen für HR-Management
        
        
          Was heißt das nun für Personaler? Insge-
        
        
          samt kann von einer breiten Gültigkeit
        
        
          des Prinzips offener Zusammenarbeit
        
        
          gesprochen werden. Sind Unternehmen
        
        
          allerdings arbeitsteilig im tayloristi-
        
        
          schen Sinn organisiert, mit weitgehend
        
        
          isolierten Tätigkeitsfeldern, wird der
        
        
          Charme von „Open Collaboration“ nicht
        
        
          zur Geltung kommen. Nur dürfte dies
        
        
          in zunehmend vernetzten Systemen im-
        
        
          mer seltener der Fall sein.
        
        
          Ganz klar, je größer der Anteil von
        
        
          Kooperationsbereiten, desto besser wird
        
        
          die Leistungsfähigkeit offener Zusam-
        
        
          menarbeit. In Firmen ist dieser Anteil
        
        
          unterschiedlich und kann verändert
        
        
          werden, etwa durch die mittels Ein-
        
        
          stellung und Beförderung beeinflusste
        
        
          Egoismus-Altruismus-Verteilung der
        
        
          Belegschaft. Außerdem können weitere
        
        
          HR-Aktivitäten aus demBereich des Füh-
        
        
          rungsverhaltens und der Anreizsysteme
        
        
          die Kooperationsbereitschaft erhöhen.
        
        
          Wobei das Vorleben von oben eine kaum
        
        
          zu unterschätzende Vorbildwirkung in
        
        
          der „Sharing Economy“ besitzt.
        
        
          Die Studie aus Sicht der HR-Praxis
        
        
          weitergedacht
        
        
          Hinsichtlich ihres People-Managements
        
        
          können Unternehmen mit „Open Col-
        
        
          laboration“ recht locker umgehen. Die
        
        
          erwähnten Maßnahmen zur Steigerung
        
        
          des Anteils Kooperationsbereiter kön-
        
        
          nen sogar nachteilige Effekte haben,
        
        
          bringen zumindest kaum zusätzliche
        
        
          Leistung. Offene Zusammenarbeit
        
        
          klappt selbst mit einer kleinen Gruppe
        
        
          von aktiven Altruisten und einer star-
        
        
          ken Egoisten-Fraktion, so die Studie.
        
        
          Erst bei Trittbrettfahrer-Anteilen von
        
        
          über 70 Prozent kollabiert die offene Zu-
        
        
          sammenarbeit, wenn sich fast alle nur
        
        
          noch kostenlos bedienen möchten. Ein
        
        
          bisschen Mitwirkung der großen Mehr-
        
        
          heit bleibt schon erforderlich.
        
        
          Unternehmen müssen sich viel eher
        
        
          darüber beratschlagen, wie und wo ihr
        
        
          Geschäftsmodell von außen herausgefor-
        
        
          dert wird. Sie müssen erkennen, wenn
        
        
          Menschen in offener Zusammenarbeit
        
        
          konkurrierende Produkte erzeugen und
        
        
          kostenlos zur Verfügung stellen, wofür
        
        
          die Firma bislang abgerechnet hat.
        
        
          
            MARTIN CLASSEN
          
        
        
          führt seit
        
        
          2010 sein Beratungsunter-
        
        
          nehmen People Consulting.
        
        
          
            DR. CHRISTIAN GÄRTNER
          
        
        
          ist Assistenz-Professor an der
        
        
          Universität der Bundeswehr
        
        
          in Hamburg.
        
        
          Vier Aspekte kennzeichnen offene Zu-
        
        
          sammenarbeit („Open Collaboration“):
        
        
          1. Menschen erzeugen Güter/Dienst-
        
        
          leistungen mit ökonomischem Wert.
        
        
          2. Es gibt (fast) keine Begrenzung hin-
        
        
          sichtlich Nutzung und Erzeugung.
        
        
          3. Interaktion und das Aufbauen auf
        
        
          Beiträgen anderer sind zentral.
        
        
          4. Zusammenarbeit erfolgt zielorien-
        
        
          tiert, wird aber nur lose koordiniert.
        
        
          
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