personalmagazin_2015_09 - page 30

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MANAGEMENT
_PERSONALDIAGNOSTIK
personalmagazin 09/15
In die erste Kategorie „Mehrdeutig-
keit/Allgemeingültigkeit“ fallen Aussa-
gen, die so unspezifisch formuliert sind,
dass sie entweder auf die Mehrheit der
Personen in unserem Kulturkreis zu-
treffen oder jeder Leser den Satz belie-
big interpretieren kann, da die Aussage
in hohem Maße von Subjektivität und
letztlich Beliebigkeit geprägt ist. Ein
Beispiel für derartige Aussagen findet
sich in der nebenstehenden Tabelle.
Auch Zirkelschlüsse wie „Ihr Erfolg als
Führungskraft hängt von Ihrer Fähigkeit
ab, Menschen zu führen“ (Hogan Lead)
fallen in diese Kategorie. Derartige Argu-
mentationen gleichen der Behauptung
des Barons Münchhausen, sich an den
eigenen Haaren aus einem Sumpf gezo-
gen zu haben.
In die zweite Kategorie „Komparativ-
form ohne Referenzgruppe“ werden Aus-
sagen einsortiert, wenn ein Vergleich
angestellt wird ohne zu verraten, mit
wem denn die begutachtete Person ver­
glichen wurde. So trifft die beispielhaft
in der Tabelle genannte Aussage aus dem
Gutachten zum Fragebogen Motiv-Struk-
tur-Analyse „Sie denken öfter als andere
ans Essen (…)“ sicherlich auf fast alle
Menschen zu, denn selbst bei Menschen,
die imVergleich zur Gesamtbevölkerung
nachweislich unterdurchschnittlich häu-
fig ans Essen denken, werden sich noch
Menschen finden, die noch seltener ans
Essen denken.
Die dritte Kategorie fokussiert auf Le-
bensweisheiten, die so allgemein sind,
dass man sie jedem Menschen als Rat-
schlag mit auf den Weg geben kann. Auch
Floskeln wie „Rückschläge und Erfolgser-
lebnisse gehören für Sie gleichermaßen
zum Leben“ (MPPI) fallen in diese Katego-
rie und zeichnen die Macher des Gutach-
tens als Allgemeinplätzchen-Bäcker aus.
Die vierte Kategorie betrifft Schmei-
cheleien gegenüber der beurteilten
Person. Die Verwendung von positiven
Aussagen ist ein Kernelement von Bar-
num-Texten, da jeder Mensch ein posi-
tives Selbstbild von sich aufrechterhalten
möchte. So sichert sich ein Gutachten mit
der Formulierung „Sie erkennen, dass
wir alle Individuen sind und Ideen zu
bieten haben“ (IMX) die Akzeptanz.
Zwei unabhängige Rater prüften
Nach dem oben bereits erwähnten Trai-
ning anhand von drei Gutachten prüften
die beiden Rater unabhängig voneinan-
der für jede Aussage der untersuchten
Gutachten, ob diese einer oder mehreren
der vier Kategorien zuzuordnen ist und
damit eine Barnum-Aussage darstellt.
Das heißt, eine Aussage wird dann als
„Barnum-Aussage“ eingestuft, wenn sie
mindestens einer der vier Kategorien
zuzuordnen ist. Dabei haben wir stets
auch den Kontext der Aussagen beach-
tet. Wenn eine Aussage für sich genom-
men zwar eine Barnum-Aussage war,
sich aber eindeutig auf einen anderen
Satz bezog, der eine individuelle Infor-
mation enthielt, haben wir die Aussage
nicht als Barnum-Aussage gewertet. Wir
haben also insgesamt eher mild geurteilt
und im Zweifelsfall eine Aussage nicht
als Barnum-Aussage eingestuft. Nach er-
folgter (und nicht mehr korrigierbarer)
Einstufung aller Aussagen eines Gutach-
tens erfolgte eine Auswertung und Refle-
xion der Übereinstimmung der beiden
Rater, bevor – wiederum vollständig un-
abhängig – die Aussagen des nächsten
Gutachtens bewertet wurden.
Bevor wir die Ergebnisse unserer
Analyse vorstellen, möchten wir berich-
ten, ob und wie gut es uns gelungen ist,
das Vorliegen einer Barnum-Aussage so
eindeutig zu definieren, dass mehrere
Personen unabhängig voneinander zur
gleichen Einschätzung kommen: Es ist
uns gut, aber nicht perfekt gelungen.
Eine zufriedenstellende Übereinstim-
mung erzielten wir hinsichtlich der Fra-
ge, welches der untersuchten Gutachten
relativ viel oder relativ wenig Barnum-
Aussagen enthält. Die Rang-Korrelation
zwischen den beiden Ratern beträgt für
die 16 Gutachten 0,70. Das heißt, mit-
hilfe des Kategoriensystems entwickelt
man eine recht sichere Einschätzung
dafür, welche Gutachten relativ mehr
und welche relativ weniger Barnum-
Aussagen enthalten. Anders sieht es hin-
sichtlich der Einschätzung der Anzahl
an Barnum-Aussagen aus.
Hohe Einstufungsunterschiede
Die Einstufung, wie viele der personen-
bezogenen Aussagen eines Gutachtens
als Barnum-Aussage zu klassifizieren
sind, unterschied sich im Fall von drei
Gutachten erheblich zwischen den Ra-
tern. Das extremste Beispiel diesbezüg-
lich ist das Gutachten zum Fragebogen
„Process Communication Model“: Wäh-
rend ein Rater 88,2 Prozent als Barnum-
Aussagen klassifizierte, war der andere
der Auffassung, dass lediglich 38,2 Pro-
zent als Barnum-Aussagen zu bezeich-
nen seien. Deutliche Einstufungsunter-
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Kategorie
Mehrdeutigkeit /
Allgemeingültigkeit
„Gesellschaftliches Ansehen hat für Sie eine gewisse Bedeutung.“
(Insyst Master Data, 2013)
Komparativform oh-
ne Referenzgruppe
„Sie denken öfter als andere ans Essen oder planen Ihre nächste
Mahlzeit.“ (Motiv-Struktur-Analyse, 2010)
Lebensweisheit /
Floskel
„Seien Sie sich im Klaren, dass andere Menschen nicht unbedingt so
reagieren, wie Sie es erwarten.“ (Hogan Lead, 2011)
Schmeichelei
„Sie erkennen, dass wir alle Individuen sind und Ideen zu bieten
haben.“ (IMX, 2012)
KATEGORIEN ZUR ANALYSE
Mithilfe dieses Kategoriensystems haben zwei Rater die Persönlichkeitsgutachten nach
ihrem Gehalt an Barnum-Aussagen analysiert.
1...,20,21,22,23,24,25,26,27,28,29 31,32,33,34,35,36,37,38,39,40,...94
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