personalmagazin_2015_09 - page 28

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MANAGEMENT
_PERSONALDIAGNOSTIK
personalmagazin 09/15
Z
u himmelhoch jauchzend, zu
Tode betrübt“ – kaum ein The-
ma ruft größere Meinungsver-
schiedenheiten hervor als der
Einsatz von Persönlichkeitsfragebogen
in der Personalauswahl und -entwick-
lung. Die Pro- und Contra-Lager stehen
sich zumeist unversöhnlich gegenüber –
besonders wenn es um die Interpretation
der aus den Tests abgeleiteten Gutachten
geht. Die Fans argumentieren vor allem
mit der persönlichen Erfahrung: Wenn
die begutachtete Person selbst und auch
andere über das Gutachten sagen „Das
passt. Eine wirklich treffende Beschrei-
bung der Persönlichkeit“, so ist dies der
ultimative Beweis für den Nutzen der
Verfahren: q.e.d., quod erat demonstran-
dum, was zu beweisen war.
Genau diesen Effekt, die Überzeu-
gung, das Gutachten stimme, führen je-
doch die Kritiker an. Ihr Argument: Mit
bestimmten Formulierungen lässt sich
immer der Eindruck erwecken, dass das
Gutachten die Persönlichkeit der begut-
achteten Person zutreffend wiedergibt.
Dies funktioniert mit Aussagen, die ei-
gentlich für alle Menschen zutreffen, die
aber die Illusion einer individuellen Be-
schreibung erwecken. Derartige Aussa-
gen nennt man „Barnum-Aussagen“, die
dadurch hervorgerufene Überzeugung
nennt man „Forer-Effekt“.
Erörtern wir dies an einem Beispiel:
Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Per-
sönlichkeitsfragebogen bearbeitet und
die folgenden Aussagen wären Teil des
Von
Martin Kersting, Verena Graulich
und
Pascale Stephanie Bothe
Gutachtens, das Ihre Persönlichkeit be-
schreibt.
• „Rückschläge und Erfolgserlebnisse
gehören für Sie gleichermaßen zum Le-
ben.“ (MPPI-18)
• „Mittels Ihrer Intuition holen Sie sich
die Informationen aus der realen Welt
und durchweben sie mit eigenen Vor-
stellungen, sodass daraus eine ganz ei-
gene Sicht der Dinge entsteht.“ (GPOP)
Würden Sie diesen Aussagen über sich
selbst wiedersprechen? Man freut sich,
dass jemand diese in der eigenen Per-
sönlichkeit liegenden Dinge, die dem
Selbstwert schmeicheln, entdeckt hat
und spricht den Fragebogenergebnis-
sen Gültigkeit und der Person, die das
Fragebogenergebnis vermittelt, hohe
Kompetenz zu. Entsprechend ist man
auch aufgeschlossen für Tipps zur Per-
sönlichkeitsentwicklung, etwa: „Sie
könnten Ihre Ergebnisse noch steigern,
wenn Sie sich etwas mehr anstrengen
würden“ (Insyst). Übrigens sind die an-
geführten Aussagen keine Erfindung,
sondern Auszüge aus Original-Gutach-
ten; die Quellen sind in Klammern ge-
nannt – genauso wie bei den nebenste-
henden Zitaten.
Die Illusion der Individualität
Die Personen, die das Gutachten lesen,
haben den Eindruck, dass der Text ganz
persönlich auf sie abgestimmt ist, ihre
Individualität beschreibt. Dabei treffen
all diese Aussagen auf alle Menschen
zu, sodass es eigentlich unnötig ist, vor-
ab individuell einen Fragebogen zu bear-
beiten. Entsprechend trifft die Überzeu-
gung, dass der Fragebogen ein stimmiges
Ergebnis erbringt, auf alle Fragebogen
zu, deren Gutachten mit entsprechenden
scheinindividuellen Aussagen arbeiten.
Einem fragebogenbasierten Gutachten,
Das beschreibt mich und andere
ANALYSE.
„In Ihnen schlummert unentdecktes Potenzial“ – derart allgemein gültige
Aussagen stecken in vielen Persönlichkeitsgutachten. Das macht sie nicht valide.
„Ihr Erfolg als Führungs-
kraft hängt von Ihrer
Fähigkeit ab, Menschen
zu führen.“
Hogan Lead
„Packen Sie’s an und
seien Sie Sie selbst!“
Process Communication Model
„Sie mögen keine
Menschen, die selbstge-
recht oder übertrieben
moralisch agieren.“
Motiv-Struktur-Analyse
„Sie sind flexibel und
fähig, Macht oder Ein-
fluss, die ein Berufstitel
oder eine Aufgabenüber-
tragung mit sich bringen,
anzunehmen oder nicht.“
IMX
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