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09/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
das zwar nicht den individuellen Cha-
rakter eines Menschen, wohl aber den
Universalcharakter aller Menschen be-
schreibt; einem Gutachten, das letztlich
triviale Aussagen als individuelle Be-
schreibungen ausgibt, wird man immer
ein hohes Maß an Gültigkeit zuschrei-
ben. Gerade das, was die Anhänger der
Fragebogen als Beweis ansehen – die
Überzeugung, das Gutachten passe –,
gilt den Kritikern als Anlass zur Skep-
sis: q.e.d., quo errat demonstrator, worin
sich der Beweisende irrt.
Analyse von 16 Gutachten
Die Kritiker der persönlichkeitsorien-
tierten Fragebogen werfen den Anhän-
gern vor, auf derartige Zirkustricks
(Barnum war ein besonders erfolg-
reicher Vertreter des Schaustellerge-
werbes), die auch von Astrologen oder
Handlesern genutzt werden, hereinzu-
fallen, also wenig rational zu handeln.
Allerdings ist es auch nicht sonderlich
rational, lediglich davon auszugehen,
dass Gutachten zu Persönlichkeitsfrage-
bogen Barnum-Aussagen enthalten und
nach Art der Illustrierten Einzelfälle als
vermeintlichen Beweis zu akzeptieren.
Wir wollten es genauer wissen und ha-
ben 16 Gutachten zu persönlichkeitsori-
entierten Fragebogen analysiert. Zwei,
voneinander unabhängige Rater, haben
Aussage für Aussage (die 16 Gutachten
umfassen insgesamt 2.284 Aussagen)
daraufhin geprüft, ob sie eine Bar-
num-Aussage darstellen. Die Auswahl
der Gutachten haben wir in Ausgabe
07/2015 beschrieben. Ursprünglich
standen uns 19 Gutachten aus der Pra-
xis zur Verfügung; drei davon nutzten
wir für das Training der Rater, sodass
noch 16 für die hier erstmals vorgestell-
te Analyse verblieben.
Zunächst mussten wir definieren, was
überhaupt eine Barnum-Aussage aus-
zeichnet. Zu unserer Überraschung stell-
ten wir fest, dass es viel Literatur zum
Barnum-Effekt gibt, aber wenige präzise
Definitionen. Nachdemwir uns näher da-
mit beschäftigt hatten, konnten wir dies
nachvollziehen. Denn es ist schwierig,
das, was eine Aussage zu einer Barnum-
Aussage macht, so präzise zu benennen,
dass mehrere Personen übereinstim-
mend zum gleichen Urteil kommen. Die
Entwicklung der Definition, die wir in
Form eines Kategoriensystems vorlegen,
erfolgte in einem mehrstufigen Prozess.
Zunächst wurde eine vorläufige Version
erstellt und auf Auszüge aus den Per-
sönlichkeitsgutachten angewendet. Da-
raufhin wurde das Kategoriensystem
gekürzt und geschärft, um die Praktika-
bilität der Anwendung zu steigern. Im
zweiten Schritt wurde das System dann
auf vollständige Gutachten angewendet.
Aufgrund der Ergebnisse wurde eine
weitere Verfeinerung des Systems vor-
genommen. Die hier vorgestellte Analyse
beruht auf dem unabhängigen Urteil von
zwei Personen: Eine Person, die alle Ent-
wicklungsstufen des Kategoriensystems
begleitet hat, und eine Person, die erst
nach der Entwicklung des Systems ein-
gestiegen ist und erneut alle Gutachten-
Aussagen in Unkenntnis des Urteils der
anderen Person eingestuft hat.
Was Barnum-Aussagen ausmacht
Wir stufen eine Aussage dann als Bar-
num-Aussage ein, wenn sie
• mehrdeutig/allgemeingültig ist und/
oder
• einen Vergleich vornimmt, ohne die
Vergleichsgruppe zu benennen, und/
oder
• wenn die Aussage eine floskelhafte
Lebensweisheit darstellt und/oder
• sich als Schmeichelei erweist.
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Wenn sich ein Mitarbeiter
in den Aussagen über sich
selbst in einem Persönlich-
keitsgutachten wiederfin-
det, heißt das nicht, dass
die Aussagen valide sind.