personalmagazin 06/2015 - page 65

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06/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
oder vor Kurzem abgeschlossenen Trans-
aktionen vonBedeutung sein. Schließlich
können durch einen Unternehmens-
kauf die maßgeblichen Schwellenwerte
schnell schlagartig überschritten sein.
Auch bei mittelständischen Unterneh-
men mit grenzüberschreitenden Kon-
zernstrukturen kann die Zurechnung
der Arbeitnehmer ausländischer Toch-
terunternehmen dazu führen, dass erst-
malig die Pflicht zur Errichtung eines
Aufsichtsrats besteht oder einWechsel in
die paritätische Mitbestimmung notwen-
dig ist. Der Kreis jener, die im Rahmen
eines Statusverfahrens eine gerichtliche
Überprüfung der Zusammensetzung
des Aufsichtsrats erzwingen können,
ist weit. Neben Vorstand, Aufsichtsrats-
mitgliedern und Aktionären kommen
auch Betriebsräte und Gewerkschaften
als Antragsberechtigte in Betracht. Der
Beschluss der Frankfurter Richter bietet
dabei das Einfallstor für eine Erweite-
rung der Mitbestimmung, auch wenn die
Durchführung eines Statusverfahrens
einige Zeit in Anspruch nimmt.
Für betroffene Unternehmen, die auf-
grund der Entscheidung des LG Frankfurt
nun die relevanten Schwellenwerte über-
schreiten, mag es sich anbieten, proaktiv
über Handlungsoptionen nachzudenken.
Je nach Konstellation wären zum Beispiel
die Umwandlung in eine Europäische
Aktiengesellschaft oder eine grenzüber-
schreitende Verschmelzung denkbar. Im
Sinne der Rechtssicherheit bleibt jedoch
zu hoffen, dass die Entscheidung des LG
Frankfurt nicht bestandskräftig wird
oder aber andere Gerichte eine andere
Auffassung vertreten.
DR. STEFAN GALLA
ist
Rechtsanwalt und Notar bei
der Luther Rechtsanwaltsge-
sellschaft mbH in Essen.
DR. CÉDRIC MÜLLER
ist
Rechtsanwalt bei der Luther
Rechtsanwaltsgesellschaft
mbH in Essen.
Zählen auch Mitarbeiter im
Ausland für die Zusammen-
setzung des Aufsichtsrats?
DrittelbG werden hingegen Arbeitneh-
mer von Tochtergesellschaften der Kon-
zernmutter erst dann zugerechnet, wenn
zusätzlich ein Beherrschungsvertrag be-
steht oder die Tochtergesellschaft in das
herrschende Unternehmen eingegliedert
ist. Soweit nichts Neues.
Zählen ausländische Mitarbeiter mit?
Bislang war im Grundsatz allgemein
anerkannt, dass bei der Berechnung
der maßgeblichen Schwellenwerte aus-
schließlich die in Deutschland beschäf-
tigten Arbeitnehmer mitzuzählen sind.
Das LG Frankfurt hat nun entgegen die-
ser jahrelangen Praxis entschieden.
Bemerkenswert sind bereits die Um-
stände, wie es zu der Entscheidung des LG
Frankfurt kam. Ein renommierter Arbeits-
rechtsprofessor hatte sich einige Aktien
der Deutsche Börse AG gekauft und dann
ein sogenanntes Statusverfahren einge-
leitet. Dadurch sollte die Zusammenset-
zung des Aufsichtsrats überprüft werden.
Die Deutsche Börse AG beschäftigte im
Zeitpunkt der Entscheidung etwa 1.600
Arbeitnehmer in Deutschland, weltweit
allerdings mehr als 2.000 Arbeitnehmer.
Das LG Frankfurt entschied nun, dass
sich die Deutsche Börse AG auch die im
Ausland bei ihren Tochtergesellschaften
beschäftigten Arbeitnehmer zurechnen
lasse müsse, sodass sie in mitbestim-
mungsrechtlicher Hinsicht mehr als 2.000
Arbeitnehmer beschäftige. Daher sei der
Aufsichtsrat nicht nur zu einem Drittel,
sondern zur Hälfte mit Vertretern der
Arbeitnehmer zu besetzen. Die Rich-
ter räumten zwar ein, dass nach bisher
verbreiteter Auffassung die im Ausland
beschäftigten Mitarbeiter, insbesondere
auch die ausländischer Konzernunter-
nehmen, nicht zu berücksichtigen seien.
Begründet werde diese Auffassung mit
dem sogenannten Territorialitätsprinzip.
Danach könne sich die deutsche Sozial-
ordnung nicht auf das Hoheitsgebiet an-
derer Staaten erstrecken.
Dieser Auffassung folgt das LG Frank-
furt ausdrücklich nicht und begründet
dies damit, dass die Vorschriften des
Mitbestimmungsrechts keine Beschrän-
kung auf nur im Inland beschäftigte Ar-
beitnehmer enthalten. Vielmehr sei der
allgemeine Konzernbegriff maßgeblich,
der auch ausländische Unternehmen er-
fasst. Zudem verstoße eine Ungleichbe-
handlung von im EU-Ausland ansässigen
Unternehmen gegen das europarecht-
liche Diskriminierungsverbot.
Auswirkungen der Entscheidung
Die Entscheidung des LG Frankfurt ist
noch nicht rechtskräftig. Laut Auskunft
der Presseabteilung des Gerichts am
5. Mai wurde Beschwerde eingereicht.
Sollte die Entscheidung jedoch Bestand
haben, könnte dies zu einer erheblichen
Ausweitung der deutschen Mitbestim-
mung führen. Deutsche Unternehmen
mit grenzüberschreitenden Geschäfts-
aktivitäten sollten daher in einem ers-
ten Schritt überprüfen, ob die genann-
ten Schwellenwerte unter Einbeziehung
der Arbeitnehmer ausländischer Toch-
tergesellschaften bereits überschritten
werden oder in absehbarer Zeit über-
schritten werden könnten.
Eine Überprüfung der Mitarbeiterzah-
len dürfte insbesondere bei laufenden
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