personalmagazin 06/2015 - page 64

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RECHT
_AUFSICHTSRÄTE
personalmagazin 06/15
Für börsennotierte Unternehmen, die bislang nicht paritätisch mitbestimmt waren,
könnte die Entscheidung unerwartet die Verbindlichkeit der Frauenquote bedeuten.
Nach dem bisherigen Gesetzesentwurf gilt ab dem 1. Januar 2016 für Gesellschaften,
die sowohl börsennotiert als auch paritätisch mitbestimmt sind, eine feste Geschlechter-
quote von 30 Prozent für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats.
Beispiel: Eine börsennotierte AG beschäftigt im Inland 1.500 und im Ausland 600
Arbeitnehmer. Bislang unterliegt die AG der Drittelparität, sodass die verbindliche Frau-
enquote keine Anwendung findet. Wenn man mit dem LG Frankfurt auch die im Ausland
beschäftigten Arbeitnehmer einbezieht, werden aus mitbestimmungsrechtlicher Sicht
insgesamt mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Demnach könnte argumentiert
werden, dass die AG sowohl börsennotiert als auch paritätisch mitbestimmt sei. Die
Folge: Die Voraussetzungen für die verbindliche Geschlechterquote wären erfüllt.
Und plötzlich gilt die Frauenquote
HINWEIS
Nach der Entscheidung des LG Frankfurt stellen sich Fragen in Bezug auf die Mitbe-
stimmung in Europäischen Aktiengesellschaften (SE). Viele bleiben vorerst ungeklärt.
Bei der Gründung einer SE besteht die Möglichkeit, mit den Arbeitnehmern eine Betei-
ligungsvereinbarung in Bezug auf die Mitbestimmung zu treffen. Kommt eine solche Ei-
nigung nicht fristgerecht zustande, greift die sogenannte Auffanglösung. Diese bedeutet
vereinfacht, dass das bestehende Mitbestimmungsniveau „eingefroren“ wird.
Beispiel: Eine AG beschäftigt im Inland 1.500 Arbeitnehmer und unterliegt der Drittelpari-
tät. Die AG wird in eine SE umgewandelt und die Drittelparität „eingefroren“. Auch wenn
die SE nun die Schwelle von 2.000 Arbeitnehmern überschreitet, führt dies nicht dazu,
dass der Aufsichtsrat zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern besetzt werden muss.
Wenn die AG nun im Zeitpunkt der Umwandlung zusätzlich 600 Arbeitnehmer im Aus-
land beschäftigte, könnte zum Beispiel eine Gewerkschaft im Statusverfahren argumen-
tieren, dass nach der LG-Entscheidung keine Drittelparität, sondern eine Mitbestimmung
nach dem MitbestG „eingefroren“ wurde. Vorerst bleibt diese Frage jedoch ungeklärt.
Europäische AG auf dem Prüfstand
KONSEQUENZ
A
b einer bestimmten Anzahl
von Arbeitnehmern müssen
Unternehmen einen mitbe-
stimmten Aufsichtsrat bilden.
Zuletzt hat jedoch eine aktuelle Entschei-
dung des Landgerichts (LG) Frankfurt
am Main (Beschluss vom 16.2.2015, Az.
3-16 O 1/14) für Unsicherheit gesorgt. Es
geht darum, ob Aufsichtsräte deutscher
Unternehmen falsch zusammengesetzt
sind oder ob erstmals ein mitbestimmter
Aufsichtsrat gebildet werden muss.
Wann ein Aufsichtsrat zu bilden ist
Überschreiten deutsche Unternehmen
Schwellenwerte von 500 oder 2.000
Arbeitnehmern, hat dies – abhängig
von der Rechtsform des Unternehmens
– grundsätzlich zur Folge, dass ein mit-
bestimmter Aufsichtsrat zu bilden ist.
Dieser ist bei mehr als 500 beschäftig-
ten Arbeitnehmern nach Maßgabe des
Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG)
zu einem Drittel mit Vertretern der Ar-
beitnehmer zu besetzen. Beschäftigt
das Unternehmen mehr als 2.000 Ar-
beitnehmer, nehmen nach Maßgabe des
Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG),
beziehungsweise der Montanmitbestim-
mung, die Vertreter der Arbeitnehmer
sogar die Hälfte des Aufsichtsrats ein.
Bei der Frage, ob ein paritätischer Auf-
sichtsrat nach demMitbestG zu bilden ist,
kommt bei Konzernen Folgendes hinzu:
Nicht nur die unmittelbar bei der Konzern-
mutter tätigen Arbeitnehmer sind mitzu-
zählen, sondern auch jene der abhängigen
Tochtergesellschaften. Im Rahmen des
Von
Stefan Galla
und
Cédric Müller
Künftig mehr Mitbestimmung?
BESCHLUSS.
Mit einer unerwarteten Entscheidung zur Besetzung eines Aufsichtsrats
hat ein Landgericht für Unruhe gesorgt. Unternehmen sollten ihre Optionen prüfen.
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