personalmagazin 06/2015 - page 68

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RECHT
_AGG
personalmagazin 06/15
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
DR. ANDREA PANZER-
HEEMEIER
ist Fachanwältin
für Arbeitsrecht und Partnerin
bei Arqis Rechtsanwälte.
EVA TROST
ist Associate bei
Arqis Rechtsanwälte.
habe der Rechtsanwalt nicht ausreichend
dargelegt. Der Rechtsstreit ist momentan
beim BAG (Az. 8 AZR 848/13) anhängig.
In einem Verhandlungstermin haben
die Erfurter Richter nun kürzlich ange-
deutet, den Europäischen Gerichtshof
(EuGH) konsultieren zu wollen. Im Kern
soll der EuGH klären, unter welchen Vo-
raussetzungen eine Person als Bewerber
nach der dem AGG zugrunde liegenden
europäischen Richtlinie anzusehen ist.
Die Erfurter Richter haben sich aller-
dings weder abschließend dazu geäu-
ßert, ob es zu einer Einschaltung des
EuGH kommen wird, noch, wie die kon-
krete Frage lauten soll. Wenn der EuGH
aber über den Bewerberstatus urteilen
muss, so wird er sich auch mit folgenden
Fragen befassen müssen: Ist ein Bewer-
ber nur dann ein Bewerber im Sinne der
europäischen Richtlinien, wenn seine
Bewerbung ernsthaft ist? Oder schützt
das Unionsrecht alle (formalen) Be-
werber, mithin auch solche, deren Be-
werbung erkennbar nicht ernsthaft ist,
sondern erkennbar darauf abzielt, im
Falle einer Ablehnung Schadensersatz-
ansprüche geltend machen zu können?
Scheinbewerbern drohen Strafen
Auch die strafrechtliche Perspektive
der Thematik ist aktuell. Bislang wurde
Scheinbewerbern nicht nur durch das
AGG und das BAG ein großer Spielraum
eingeräumt. Sie mussten darüber hin-
aus keinerlei rechtliche Konsequenzen
befürchten. Entweder wurden ihnen
Schadensersatzansprüche
zugespro-
chen oder nicht.
In einem aktuellen Fall hat eine
Staatsanwaltschaft jedoch zum ersten
Mal Anklage wegen besonders schwe-
ren Betrugs gegen den vermeintlichen
AGG-Hopper erhoben. Dem abgelehnten
Rechtsanwalt wird vorgeworfen, sich
auf eine Vielzahl von Stellenausschrei-
bungen beworben, eine tatsächliche Ar-
beitsaufnahme jedoch nicht beabsichtigt
zu haben. In 25 Fällen sollen Entschädi-
gungen gezahlt worden sein, 91 weitere
Fälle sollen für den Bewerber erfolglos
ausgegangen sein. Sollte der Anwalt ver-
urteilt werden, dürfte sein Fall als ab-
schreckendes Vorbild dienen.
Worauf Personaler jetzt achten sollten
Bis zu einer Entscheidung des BAG oder
EuGH bleibt es jedoch bei der bisherigen
Rechtslage. Personaler müssen daher
für gewisse Vorgänge im Bewerbungs-
verfahren besonders sensibilisiert sein.
Es sollten ausreichende Vorsichtsmaß-
nahmen getroffen werden, um eine An-
griffsfläche für Entschädigungsansprü-
che erst gar nicht entstehen zu lassen
(lesen Sie die Kriterien dazu im Kasten).
Wird ein Unternehmen trotzdem von
einem Bewerber in Anspruch genom-
men, bleibt in der Regel nur die Mög-
lichkeit, die fehlende Ernsthaftigkeit
der Bewerbung durch Rechtsmissbrauch
nachzuweisen. Anhaltspunkte dafür
können beispielsweise häufige Entschä-
digungsklagen in der Vergangenheit,
eine deutliche Über- oder Unterqualifi-
zierung, unvollständige oder unordent-
liche Bewerbungsunterlagen oder ein
auffälliger Hinweis in der Bewerbung
auf diskriminierungsrelevante Eigen-
schaften sein.
Insofern bleibt es für Personaler und
AGG-Hopper gleichermaßen spannend.
Sollte es zur Vorlage der Problematik
an den EuGH kommen, wird der Bewer-
berstatus durchleuchtet werden. Kippt
sodann der EuGH die bisherige Recht-
sprechung des BAG, würde das den AGG-
Hoppern sicher den Spaß rauben.
Bis das BAG oder der EuGH neue Maßstäbe festlegen, haben Personaler im Bewer-
bungsverfahren die aktuellen Vorgaben der Rechtsprechung zu beachten. Nur so kann
das Risiko einer Entschädigung an mögliche AGG-Hopper minimiert werden.
Um möglichst wenig Angriffsfläche für Klagen auf Entschädigungen nach dem AGG zu
liefern, muss gerade die Stellenanzeige ordnungsgemäß erstellt und durchdacht sein.
Aber auch bei der Bewerberauswahl gilt es, sorgfältig zu agieren.
Die Stellenanzeige muss dem Gebot der neutralen Ausschreibung entsprechen und
darf nicht an ein Diskriminierungsmerkmal gemäß § 1 AGG anknüpfen (Alter, Ge-
schlecht, ethnische Herkunft, Behinderung et cetera).
Ist die Aufnahme eines Diskriminierungsmerkmals in der Ausschreibung jedoch
erforderlich, sollte dies mit einem sachlichen Grund gerechtfertigt werden können.
So ist die Verwendung eines Diskriminierungsmerkmals gerechtfertigt, wenn dieses
wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingung ihrer Ausübung eine
wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Beispielsweise hat
das Arbeitsgericht Würzburg im Jahr 2013 entschieden, dass ein männlicher Bewerber
– je nach den weiteren Umständen des Einzelfalls – aufgrund seines Geschlechts als
Trainer für ein reines Frauen-Fitnessstudio abgelehnt werden kann.
Unternehmen sollten Sorgfalt walten lassen. Denn im Streitfall müssen sie den Be-
weis für einen sachlichen Grund erbringen.
Auch die Bewerberauswahl ist diskriminierungsfrei durchzuführen, möglichst anhand
objektiv nachweisbarer Kriterien.
In jedem Fall sollte das Auswahlverfahren hinreichend dokumentiert werden. Denn
wieder gilt: Unternehmen müssen im Streitfall die erwogenen Kriterien nachweisen.
Durchdacht und sorgfältig vorgehen
AGG-KRITERIEN
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