personalmagazin 06/2015 - page 38

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MANAGEMENT
_WISSENSCHAFTSTRANSFER
personalmagazin 06/15
D
er bekannte Lerntheoretiker
Argyris meinte: „Lernen ist das
Aufdecken und Verbessern von
Fehlern“. David Maslach stellt
dazu in seiner Studie eine wichtige Fra-
ge: Wann und wie lernen Organisationen
aus Fehlern? Er gibt eine überraschende
Antwort: Statt nach Fehlschlägen ihre
Handlungsmuster anzupassen und da-
durch zu lernen, kann es für Unterneh-
men ratsam sein, weiter so wie bisher zu
agieren. Er stützt sich auf die Analyse von
rund 15.000 Produktinnovationen imMe-
dizinsektor der USA. Dabei untersuchte
er, welche Produktneuheiten zu Fehlern
führten, sprich zur Schädigung oder gar
zum Tod von Patienten. Und er prüfte, ob
Unternehmen dennoch an diesen Produk-
ten festhielten und sie verbesserten.
Was man sich merken sollte
Zu unterscheiden sind inkrementelle
Innovationen, die auf bestehenden Pro-
dukten aufbauen, von radikalen, die kei-
ne Vorläufer haben. Diese Unterschei-
dung ist wichtig, weil sich mit der Art
einer Innovation die Art des Feedbacks
nach Fehlern ändert: bei radikalen Inno-
vationen ist die Rückmeldung aus der
Umwelt schwer zu interpretieren, sie
kommt später und seltener als bei in-
krementellen Veränderungen.
Zunächst schließt sich der Autor der
üblichen Sichtweise an: Bei Fehlschlä-
gen ändern Organisationen ihr Suchver-
halten. Sie haben gelernt, dass sie von
fehlerbehafteten Produkten oder Techno-
logien besser die Finger lassen. Konkret
Von
Martin Claßen
und
Christian Gärtner
heißt das: Je mehr Fehler bei radikalen
Innovationen gemacht werden, desto we-
niger engagieren sich Unternehmen in
Technologiesprüngen und fokussieren
auf inkrementelle Innovationen. Anders
verhält es sich bei kleinen Innovations-
schritten. Je mehr Fehler Organisationen
hierbei machen, desto eher werden sie
an diesen fehlerbehafteten Produkten
festhalten und weiter in sie investie-
ren. Obwohl Patienten also geschädigt
wurden oder sogar starben, schwenken
Firmen nicht auf einen komplett neuen
technologischen Pfad um. Das kann laut
Studie ein rationales Verhalten sein.
Zur Erklärung greift Maslach die un-
terschiedlichen Innovationsarten und
das entsprechende Feedback auf: Firmen
können Fehlschläge aus inkrementellen
Innovationen und das sich daraus erge-
bende negative Feedback aus der Umwelt
einfacher verstehen als bei radikalen In-
novationen. Einerseits kann das negative
Feedback besser gedeutet werden, weil
die Organisation schon einiges über das
Produkt und die Tücken ihrer Techno-
logie weiß. Andererseits kommen diese
Mini-Innovationen häufiger vor, weshalb
Unternehmen mehr Erfahrung mit dieser
Innovationsart haben und lernen konn-
ten, wie mit Fehlern und negativem Feed-
back umzugehen ist. Beides zusammen
bedeutet, dass Firmen bei inkrementel-
len Innovationen mehr Wissen darüber
anhäufen, was schiefgehen kann, wo Lö-
sungen zu suchen sind und wie man auf
negatives Feedback reagiert. Da zudem
die möglichen Schäden bei kleinen Ver-
änderungen oft gering sind, ist es eine ra-
tionale Strategie, bei Fehlschlägen nicht
komplett umzuschwenken, sondern an
inkrementellen Innovationen festzuhal-
ten und peu à peu zu verbessern.
Fazit: Die Fähigkeit, das negative Feed-
back richtig zu interpretieren und die
Ursachen für einen Fehlschlag auszu-
machen, basiert auf Erfahrung und ist
entscheidend dafür, ob Organisationen
sinnvollerweise einfach weitermachen
sollten wie bisher oder nicht.
Für wen oder was das Ganze gilt
Grundsätzlich können die Aussagen
auch für andere Felder gelten, wie etwa
Prozessinnovationen – allerdings mit
einer Einschränkung, wie der Autor in
einem Nebensatz bemerkt: Es geht um
Erfahrungen des Scheiterns bei kom-
plexen Tätigkeiten. Bei simplen Routi-
neaufgaben ist Fehlererfahrung aber
weder rational noch effizient, sondern
Trotz Fehlschlägen: Weiter so!
SERIE.
Ein US-Wissenschaftler belegt Überraschendes: Oft lernen Unternehmen nicht
aus Fehlern, sondern machen weiter wie bisher – und das aus gutem Grund.
Zu oft hakt es immer noch am Transfer
wissenschaftlicher Erkenntnisse in
die Praxis. Darum stellen der Berater
Martin Claßen und der Wissenschaftler
Christian Gärtner in den folgenden Aus-
gaben betriebswirtschaftliche Studien
aus den USA mit ihren Kernergebnissen
vor und ziehen Schlussfolgerungen für
das deutsche Personalmanagement.
In diesem Serienteil geht es um die
Studie „Change and persistence with
failed technological innovation” von
David Maslach, die 2015 im „Strategic
Management Journal“ erschienen ist.
SERIE
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