personalmagazin 06/2015 - page 31

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06/15 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
ein, sondern weil es seine Fähigkeiten
und Fertigkeiten fürs Ganze benötigt.“
Deshalb fände er „es nicht zielführend,
wenn das ganze Team entscheidet“.
Biemann verweist auf Studien, die un-
strukturierte Interviews als schwaches
Auswahlinstrument beschreiben. Und
er warnt vor den Eigeninteressen einzel-
ner Teammitglieder: „Ein Ingenieur mit
Spezialkenntnissen wird immer auch
seine Vormachtstellung retten wollen.“
In dem höheren Maß an Subjektivität
sieht auch Martin Kersting eine Gefahr.
„Teams suchen nach Kollegen, die so
sind wie sie selbst“, ist der Professor für
psychologische Diagnostik an der Justus-
Liebig-Universität Gießen sicher. „Der
Kuschelfaktor dieses Mitmachtheaters
ist groß, Heterogenität und Diversität
haben es schwer.“ Außerdem gerieten
einzelne Teammitglieder unter Druck,
sich dem kleinsten gemeinsamen Nen-
ner anzuschließen. Sein Vorschlag: Die
Gruppe soll das Anforderungsprofil mit
ausarbeiten, eignungsdiagnostisch ge-
schulte Manager unter Zuhilfenahme
standardisierter Verfahren über die Be-
werber entscheiden. „Sie müssen nicht
Psychologen, aber professionell geschult
müssen sie Rekrutierer sein.“
Bewerberauswahl über Community
Während Personalforscher warnen-
de Worte formulieren und Voraus-
setzungen definieren, haben manche
Unternehmen längst den Sprung ge-
wagt: Onlineportale vereinfachen die
Entscheidungsfindung und geben der
Teamrekrutierung von der Suche bis
zum Abschluss des Arbeitsvertrags
neuen „Drive“. Öffentlichkeitswirksam
hat zum Beispiel die Schweizer Flug-
gesellschaft Swiss eine Kandidatenaus-
wahl praktiziert. Sie postete die Suche
nach einem Explorer – jemandem, der
weltweit Reiseziele erforscht und dazu
bloggt – auf der amerikanischen Platt-
form „Dreamjobbing“. Der Knackpunkt:
Das Auswahlverfahren übernimmt dort
die Community, also jeder, der sich via
Facebook anmeldet und einem Kandi-
daten seine Stimme gibt. Dazu lädt der
Bewerber ein einminütiges Video hoch,
in dem er sich vorstellt und möglichst
überzeugend erklärt, warum er der Bes-
te für den Job ist. Dann macht er in mög-
lichst vielen sozialen Netzwerken von
Linkedin bis Facebook für sich Werbung
und versucht seine Kontakte dazu zu
bringen, sich bei „Dreamjobbing“ ein-
zuloggen und für ihn zu stimmen. Zum
Interview eingeladen wird der Kandidat,
den die meisten User per Klick küren.
Für Matthias Mäder, Geschäftsleiter
des Schweizer Rekrutierungsspezia-
listen Prospective Media Services AG,
können Manager von einer derart of-
fenen Onlinesuche auch dann lernen,
wenn sie gerade keine spektakulären
Traumjobs zu vergeben haben: „Es wer-
den viele weitere Personen einbezogen.
Dadurch wird der ganze Bewerbungs-
prozess demokratisiert.“ Allerdings
glaubt Mäder, dass dieses Instrument
noch lange eine Ausnahme bleiben
wird. Deutlich häufiger kommt es vor,
dass Teammitglieder beim Anwerben
neuer Mitarbeiter einbezogen werden.
„Vorausschauende Personaler versu-
chen verstärkt die persönliche Vernet-
zung der Mitarbeiter in ihren jeweiligen
Fachkreisen zu nutzen“, erklärt Mäder.
„Schwachpunkt dabei ist allerdings, dass
die Experten ihre eigenen Netzwerke
mit Fachkollegen oft nicht genügend
pflegen“, so der Geschäftsleiter. Deshalb
sind die Personalexperten gefordert, für
Mitarbeiter Anreize zu schaffen, aktiver
zu netzwerken. „Aufwind hat dieses
eigentlich schon bewährte Mitarbeiter-
werben-Mitarbeiter-Programm durch
Startups erhalten, die es sehr vereinfa-
chen, einen potenziellen Kollegen anzu-
sprechen“, erklärt er.
Mitarbeiter werben in Social Media
Einige HR-Softwarefirmen haben ein
Rundum-Sorglos-Paket für das Rekru-
tieren in den Social-Media-Kontakten
geschnürt. Die Schweizer Eqipia, die
Österreicher Firstbird und Talentry aus
Deutschland bieten vergleichbare Mitar-
beiterempfehlungsplattformen an. Die
Talentry GmbH in München will mit ih-
rer webbasierten Social-Recruiting-Soft-
ware in Unternehmen nichts dem Zufall
überlassen. Die Software informiert die
Belegschaft systematisch über vakante
Stellen. Gleichzeitig führt sie ein Mat-
ching bei den Mitarbeiterkontakten in
den Social-Media-Kanälen durch. Findet
„Ein Unternehmen stellt Mitarbeiter
nicht für ein Team ein, sondern weil es
seine Fähigkeiten fürs Ganze benötigt.“
Prof. Dr. Torsten Biemann, Universität Mannheim
„Teams suchen nach Kollegen, die so
sind wie sie selbst. Der Kuschelfaktor
dieses Mitmachtheaters ist groß.“
Prof. Dr. Martin Kersting, Justus-Liebig-Universität Gießen
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