personalmagazin 06/2015 - page 30

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MANAGEMENT
_RECRUITING
personalmagazin 06/15
K
atharine Viner hatte mehr als
die Hälfte aller Mitarbeiter
hinter sich, als sie im März
Chefredakteurin der briti-
schen Zeitung „The Guardian“ wurde.
Die Manager im Besetzungsgremium
hätten sich über das Votum der Beleg-
schaft hinwegsetzen können, stimmten
aber mit den Mitarbeitern überein, dass
Viner die beste Kandidatin ist.
Bei den Berliner Philharmonikern da-
gegen ist das Votum der Orchestermusi-
ker keine Meinungsäußerung, sondern
bindend. Die rund 130 Musiker entschei-
den, wer mit seinem Instrument in ih-
remOrchestergraben sitzen darf, und sie
wählen ihren Chefdirigenten.
Kompetenzen gegenseitig anerkennen
Zwischen Mitreden und Mitentscheiden
liegen auch inweniger aufgeregten Bran-
chen als Medien oder Musik die Rech-
te der Mitarbeiter bei der Suche nach
neuen Kollegen oder gar nach Chefs.
Sind es in kleinen Firmen je nach Kul-
tur Geschäftsführer, Projektleiter oder
Teams, die über den Personalzuwachs
entscheiden, verantworten in größeren
Unternehmen Personalfachabteilungen
das Prozedere. Professorin Jutta Rump
beobachtet, „dass die Schere zwischen
Professionalisierung und Dezentralisie-
rung auseinandergeht und HR häufig im
luftleeren Raum rotiert“. Die Direktorin
des Instituts für Beschäftigung und Em-
ployability an der Hochschule Ludwigs-
hafen spricht sich für eine gegenseitige
Akzeptanz der Kompetenzen aus.
Von
Ruth Lemmer
und
Pia Weber
In ihrem HR-Report 2014/15 zeigt
sich, dass Linienmanager „zwar fach-
lich gut sind, ihre Sozialkompetenz aber
eher unterdurchschnittlich ist“. Die wie-
derum haben Personaler. Ihr Vorschlag:
den Rekrutierungsprozess gliedern.
Dazu gehört es, das Jobprofil gemein-
sam zu erstellen, den HRlern mit ihrem
professionellen Raster die Grobselekti-
on zu überlassen, dann die erste Wahl
in die Linie geben. „Personalfachleute
haben die bessere Brille gegen die Ho-
mogenitätsfalle“, sagt Rump. Sie können
Bewerbungsunterlagen beurteilen und
strukturierte Interviews mit Kandidaten
führen – was natürlich keine Geheim-
wissenschaft ist.
Der Versicherer Allianz Deutschland
schult und coacht Führungskräfte, die
Bewerbungsgespräche führen. Bauchge-
fühl und rationale Bewertungskriterien
werden auseinanderklamüsert. „Wir
Personaler sind Dienstleister, ohne de-
vot zu sein“, sagt Johanna Aichmüller,
Personalleiterin in der Hauptverwal-
tung. „Wir geben den Führungskräften
Rückmeldung, wenn der Prozess nicht
optimal läuft.“ Die Allianz hat an ihrem
Münchener Hauptsitz kein zentrales Re-
cruiting Center. Die Personalentschei-
dungen werden vor Ort getroffen. Die
aktive Suche in den Online-Netzwerken
ist so üblich wie die Printanzeige und
der Einsatz von Personalberatern. Be-
werbungen landen auf einer täglich
gepflegten Plattform. „Da sind wir in-
dustrialisiert“, meint Aichmüller. Nach
Bewerbungsende gehen Führungskraft
und Personaler die Kandidaten durch.
Den ersten Kontakt zum Kandidaten
übernimmt meist der Personalmanager.
In der zweiten Runde entscheidet der
Linienmanager, ob und wie viele Mitar-
beiter mit von der Partie sind bei den
Gesprächen. „Das hängt“, so die Perso-
nalleiterin, „von der Kultur der Einheit
ab.“ Ein Team gemeinsam entscheiden
zu lassen, ist bei der Allianz aber un-
üblich. Das übernimmt der Vorgesetzte.
Personaler haben ein Vetorecht.
Warnung vor Eigeninteressen
Torsten Biemann, Professor für Perso-
nalmanagement und Führung an der
Universität Mannheim, meint, eine
Teamentscheidung bei der Rekrutie-
rung greife zu kurz: „Ein Unternehmen
stellt Mitarbeiter nicht für ein Team
Mehr als Mitmachtheater
TREND.
Einige Unternehmen überlassen ihren Teams die Entscheidung über Neuein-
stellungen. Doch gerade Forscher bezweifeln, dass dabei taugliche Urteile entstehen.
„Wir Personaler sind Dienstleister, ohne
devot zu sein. Wir geben Führungskräf-
ten Rückmeldung, wenn es nicht läuft.“
Johanna Aichmüller, Allianz Deutschland
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