personalmagazin 11/2015 - page 79

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Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Beabsichtigt der Arbeitgeber dagegen,
eine ordentliche Kündigung auszuspre-
chen, so muss er keine Ausschlussfrist
einhalten. Auch bei der ordentlichen
Kündigung darf der Arbeitgeber jedoch
nicht zu viel Zeit verstreichen lassen. So
kann er sein Kündigungsrecht verwir-
ken, wenn er die Kündigung nicht inner-
halb eines angemessenen Zeitraumes
erklärt, etwa, wenn er trotz Kenntnis
längere Zeit untätig bleibt, obwohl ihm
ein Tätigwerden möglich und zumutbar
gewesen wäre und deshalb bei dem Ar-
beitnehmer das berechtigte Vertrauen
aufkommt, dass eine Kündigung nicht
erfolgen wird.
Betriebsratsanhörung immer auch
hilfsweise zur Verdachtskündigung
Besondere Sorgfalt sollten Arbeitgeber
auch bei der Betriebsratsanhörung gem.
§ 102 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz
(BetrVG) walten lassen. Existiert ein Be-
triebsrat, so muss dieser grundsätzlich
vor jeder Kündigung angehört werden.
Die Betriebsratsanhörung sollte in je-
dem Falle erst nach der Anhörung des
Mitarbeiters erfolgen, da die Ausfüh-
rungen des Arbeitnehmers im Entschei-
dungsprozess zu berücksichtigen sind.
Bei dem Umfang der Anhörung ist
Vorsicht geboten: Hört der Arbeitgeber
den Betriebsrat nur im Rahmen einer
beabsichtigten Tatkündigung an, kann
er seine Kündigung im Nachhinein
nicht auf den bloßen Verdacht einer Ar-
beitspflichtverletzung beziehungsweise
Straftat stützen. In diesem Fall fehlt es
an einer wirksamen Betriebsratsanhö-
rung, denn diese ist nicht bereits in der
Anhörung zur Tatkündigung enthalten.
Dem Arbeitgeber bleibt dann nur die
Möglichkeit einer erneuten Kündigung
unter vorheriger Anhörung des Betriebs-
rats zu einer Verdachtskündigung.
Umgekehrt genügt es jedoch für den
Ausspruch einer Tatkündigung, wenn
der Betriebsrat zuvor lediglich wegen
des Verdachts eines gewichtigen Fehl-
verhaltens angehört worden ist. Denn
die Verdachtskündigung bedeutet einen
größeren Eingriff in die Sphäre des Ar-
beitnehmers, der den Betriebsrat eher
zu einem umfassenden Tätigwerden
bewegen wird. Insofern müssen dem
Betriebsrat jedoch sämtliche Tatsachen
mitgeteilt worden sein, die nicht nur den
Verdacht, sondern auch den Tatvorwurf
selbst begründen.
Arbeitgeber sollten daher bei unsi-
cherem Sachverhalt die beabsichtigte
Kündigung nicht nur auf die erwiesene
Pflichtverletzung, sondern jedenfalls
hilfsweise auch auf den dringenden Ver-
dacht des entsprechenden Handelns
stützen. Insofern ist es ratsam, dem Be-
triebsrat im Rahmen der Anhörung sämt-
liche relevanten Anhaltspunkte für beide
Kündigungsgründe mitzuteilen.
Praxistipps: Vorgehen und Zeitpunkt
der Kenntnisnahme dokumentieren
Aufgrund der strengen Anforderungen
und des daraus resultierenden Fehlerpo-
tenzials im Rahmen einer Verdachtskün-
digung sollten Arbeitgeber sehr sensibel
mit der Thematik umgehen. Eine ent-
sprechende Achtsamkeit im Ablauf des
gesamten Kündigungsverfahrens ist un-
umgänglich. So sollten insbesondere die
folgenden Punkte berücksichtigt werden:
Es ist zu empfehlen, dass Arbeitgeber
bereitsbei dengeringstenZweifelnander
Beweisbarkeit des arbeitsvertragswid-
rigen Verhaltens des Arbeitnehmers je-
denfalls auch eine Verdachtskündigung
Verdachtskündigungen erfordern organisatorische Sorgfalt und juristisches Fingerspit-
zengefühl. Im Vorfeld sollten Sie die folgenden Stichpunkte daher unbedingt prüfen.
Die Arbeitspflichtverletzung beziehungsweise Straftat, derer der Arbeitnehmer ver-
dächtigt wird, muss im Falle, dass sie bewiesen wäre, die Kündigung rechtfertigen.
Der Verdacht muss geeignet sein, das erforderliche Vertrauen für die Fortführung des
Arbeitsverhältnisses zu zerstören.
Die Verdachtsmomente beruhen auf objektiven Tatsachen.
Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit für die Begehung der Arbeitspflichtverlet-
zung beziehungsweise Straftat.
Der Arbeitgeber hat alle zumutbaren Anstrengungen zur Sachverhaltsaufklärung
unternommen (insbesondere Anhörung des Arbeitnehmers).
Angriffsflächen minimieren
CHECKLISTE
aussprechen. Vor diesem Hintergrund
sollte insbesondere die Beweisbarkeit
des Tatvorwurfs geklärt werden.
Wird die Alternative der Verdachts-
kündigung gewählt, ist zudem eine
umfassende Dokumentation der Vor-
gehensweise ratsam. Da in der Praxis
insbesondere die Zwei-Wochen-Frist für
den Ausspruch einer außerordentlichen
Kündigung Fallstricke birgt, sollte der
Arbeitgeber die Zeitpunkte, in denen er
von Verdachtsmomenten Kenntnis er-
langt, genauestens festhalten. Des Wei-
teren sind auch eingeleitete Schritte zur
Ermittlung des Sachverhalts – wie etwa
die Anhörung des Arbeitnehmers – zu
dokumentieren.
Arbeitgebern ist mit der Verdachts-
kündigung ein Gestaltungsinstrument
im Bereich der Kündigungsmöglich-
keiten an die Hand gegeben worden.
Bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt
sollten Arbeitgeber diesbezüglich kei-
nerlei größere Bedenken haben.
DR. ANDREA PANZER-HEEMEIER
ist Partnerin bei
Arqis Rechtsanwälte und
Fachanwältin für Arbeitsrecht.
EVA TROST
ist Associate
bei Arqis Rechtsanwälte in
Düsseldorf.
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