personalmagazin 11/2015 - page 82

82
RECHT
_FORMVORSCHRIFTEN
personalmagazin 11/15
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
benennen, der dann darüber befragt
wird, wann er in seinem Bezirk für ge-
wöhnlich noch Briefkästen bestückt.
Was der Arbeitnehmer allerdings
nicht einwenden kann ist, dass er nach-
weislich nicht zu Hause war. Dieses
Argument bleibt selbst dann unberück-
sichtigt, wenn dem Arbeitgeber bekannt
war, dass sich der Mitarbeiter im Urlaub
befindet und dieser seine Urlaubsadres-
se hinterlassen hat.
Zweite Kündigung im Gerichtssaal
Zurück zu unserem Prozess. Nehmen
wir an, dass Walter B. dem für ihn über-
raschend gekommenen Bestreiten des
Kündigungszugangs nicht durch einen
Beweis entgegentreten kann. Dann wird
ihm nichts anderes übrig bleiben, als
eine erneute Kündigung auszusprechen.
Das kann im Extremfall zur Folge haben,
dass zwischen gescheiterter erster und
nachgeschobener zweiter Kündigung
der Mitarbeiter ordentlich unkündbar
geworden ist. Zumindest aber wird die
Folge einer nachgeschobenen Kündi-
gung sein, dass diese erst nach Ende der
ersten sechs Monate des Arbeitsverhält-
nisses zugeht und jetzt das Kündigungs-
schutzgesetz Anwendung findet.
Bleibt für Walter B. nur zu hoffen, dass
ihm zumindest bei der zweiten Kündi-
gung nicht wieder der Zugang bestritten
wird. „Kein Problem“, wird er hier mög-
licherweise sagen, „ich habe mir noch im
Gerichtssaal den Empfang der zweiten
Kündigung bestätigen lassen“. Recht hat
er, denn die Gefahr der Zugangsbestrei-
tung hat er mit der Empfangsbestäti-
gung wirksam ausgeschaltet.
Aber vielleicht lauert hier ein weiterer
Formfehler, sodass Walter B. noch eine
dritte Kündigungszustellung versuchen
muss? Lesen Sie dazu den Kasten zur
Kündigungsberechtigung.
THOMAS MUSCHIOL
ist
Rechtsanwalt mit Schwerpunkt
Arbeits- und Sozialversiche-
rungsrecht in Freiburg.
Auch wenn es sich der Wahrheitsfindung verschrieben hat: Es gibt Situationen, in
denen das Gericht wider besseren Wissens entscheiden muss.
Wird in einem arbeitsgerichtlichen Prozess gestritten, gilt der sogenannte zivilrechtliche
Beibringungsgrundsatz. Das bedeutet für den Richter, dass er nur über das urteilen darf,
was beantragt wird und dass er der Wahrheit von Tatsachen nur nachgehen darf, wenn
diese von einer der Parteien bestritten werden. Und nicht nur das: Die Parteien haben
es auch in der Hand, Tatsachen, über die man zunächst heftigst gestritten hat, urplötz-
lich aus dem Prozess herauszuhalten. Dies findet sich dann in gerichtlichen Protokollen
mit den Worten „Die Parteien stellen jetzt unstreitig, dass …“. Der Richter muss eine
solche Kehrtwende akzeptieren – selbst wenn auf der Hand liegt, dass der plötzliche
Wechsel vom Bestreiten zum Nichtbestreiten von den Parteien ausgehandelt worden ist
und die objektive Wahrheit auf der Strecke bleibt.
Eine wichtige Abweichung davon gibt es allerdings in arbeitsgerichtlichen Verfahren, in
denen sich Arbeitgeber und Betriebsrat gegenüberstehen. Hier ist der Arbeitsrichter nicht
an Beweisanträge gebunden, sondern muss den Sachverhalt von Amts wegen aufklären.
Wenn Richter sich die Augen zuhalten
PROZESSFEINHEITEN
Ein Stellvertreter kann eine Kündigung nur wirksam aussprechen, wenn er entweder
eine Vollmacht vorlegt oder seine Ermächtigung allen erkennbar ist.
„Ich bin die nächsten drei Wochen in Amerika. Falls eine Kündigung notwendig ist, kann
das der zuständige Sachbearbeiter Herr Maier aus der Personalabteilung machen, ich
erteile ihm dazu alle notwendigen Vollmachten.“ Wenn der Chef sich mit dieser Mittei-
lung per E-Mail verabschiedet, sollten bei Herrn Maier die Alarmglocken läuten. Denn es
ist gut möglich, dass er einige Tage nach der Ausübung seines Kündigungsauftrags das
Schreiben eines Anwalts mit folgendem Text erhält: „Die Kündigung wird mangels Voll-
macht zurückgewiesen.“ Denn die Ermächtigung des Chefs per E-Mail, dass Herr Maier
Kündigungen in seinem Namen als Vertreter aussprechen kann, reicht als Vollmacht nicht
aus. Der Grund liegt in § 174 BGB. Darin ist geregelt, dass einseitige Rechtsgeschäfte
(Kündigungen gehören zu dieser Spezies) unwirksam sind, wenn der Bevollmächtigte
eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem
Grunde unverzüglich zurückweist.
Zwar verzichtet die Rechtsprechung auf diese Vorlagepflicht, wenn für den Mitarbeiter
erkennbar ist, dass der Kündigende aufgrund seiner allgemeinen Stellung im Unter-
nehmen für Kündigungen ermächtigt ist. Anerkannt ist dies bei Prokuristen oder bei
Personalleitern. Bei einem Personalsachbearbeiter ist jedoch nicht davon auszugehen.
Die Folge ist: Da die Kündigung zu Recht zurückgewiesen wird, muss Sie erneut ausge-
sprochen werden. Herr Maier muss also versuchen schnell eine Originalvollmacht von
seinem Chef aufzutreiben. Ein Problem, wenn der Chef in Amerika ist, da eine Original-
vollmacht nicht per Fax oder per E-Mail übermittelt werden kann.
Zweifel an der Kündigungsberechtigung
PRAXIS
1...,72,73,74,75,76,77,78,79,80,81 83,84,85,86,87,88,89,90,91,...92
Powered by FlippingBook