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          Der systematische Umgang mit liquiden Mitteln
        
        
          ist für Unternehmen überlebenswichtig – sei es
        
        
          als kurzfristige Dispositionskasse, als strategi-
        
        
          sche „Kriegskasse“ beispielsweise für Akquisi-
        
        
          tionsgelegenheiten oder als Deckungsmasse
        
        
          für Pensionsverpflichtungen. Die Verwaltung
        
        
          von Kapitalanlagen gehört nicht zu den Kern-
        
        
          prozessen von Industrieunternehmen. Dennoch
        
        
          – die Themen Liquiditätshaltung und Wertpa-
        
        
          pieranlagen sind ein Instrument zur Risikosteu-
        
        
          erung von Unternehmen und deshalb wichtiger
        
        
          Bestandteil der grundsätzlichen Finanzierungs-
        
        
          strategie. Während sich manche Großkonzerne
        
        
          beispielsweise auf Konsortialkreditlinien und
        
        
          ihre operative Ertragskraft verlassen, halten an-
        
        
          dere substanzielle liquide Reserven auf der Bi-
        
        
          lanz. Familienunternehmen halten vielfach hohe
        
        
          strategische Kapitalreserven oder liquide Mit-
        
        
          tel, da sie den Gang zum Kapitalmarkt scheuen
        
        
          und Mittel für potenzielle Erbschaftsteuern vor-
        
        
          halten müssen.
        
        
          
            Ziel der Kapitalanlage –
          
        
        
          
            Risikovorsorge
          
        
        
          Mit dem Halten von Liquidität und Wertpapier-
        
        
          anlagen verzichten die Unternehmen meist auf
        
        
          Rendite, denn die im Kerngeschäft zu erwar-
        
        
          tenden operativen Erträge sind normalerweise
        
        
          höher. Der Vorteil von Liquidität und Wertpa-
        
        
          pieren besteht in ihrer Fungibilität und in der
        
        
          Möglichkeit zur Streuung;
        
        
          im Idealfall lassen
        
        
          sich die Vermögenswerte flexibel um-
        
        
          schichten und für unvorhergesehene Fälle
        
        
          einsetzen.
        
        
          Als eine Art Versicherung gegen
        
        
          individuelle Betriebs- und allgemeine Konjunk-
        
        
          turrisiken ist die Kapitalanlage von Unterneh-
        
        
          men zumeist risikoavers; Kapitalerhalt vor Ren-
        
        
          dite heißt die Anlageregel. Diese Risikoaver-
        
        
          sität hängt zumeist auch mit der Governance-
        
        
          Struktur von Unternehmen zusammen. Keine
        
        
          Unternehmensführung will ihren Aufsichtsgre-
        
        
          mien hohe Verluste bei der Kapitalanlage er-
        
        
          klären. Dass Liquidität für die Einschätzung von
        
        
          Unternehmensrisiken wichtig ist, zeigt das Vor-
        
        
          gehen von Kredit- und Ratinganalysten: Ein gu-
        
        
          tes Rating basiert nicht zuletzt auf einer
        
        
          soli-
        
        
          den Liquiditätsstruktur
        
        
          . Als solide gilt eine
        
        
          Struktur, bei der liquide Mittel neben Kreditlini-
        
        
          en und einer hohen Innenfinanzierungsfähig-
        
        
          keit ein wesentlicher Baustein sind. Nur wenn
        
        
          die Liquiditätslage eines Unternehmens von
        
        
          den Ratingagenturen als „adäquat“ einge-
        
        
          schätzt wird, kann ein Unternehmen eine gute
        
        
          Bonitätseinstufung (Investmentgrade) erlan-
        
        
          gen. Dass sich die Einschätzung der Liquidi-
        
        
          tätslage bei den Unternehmen selbst ändern
        
        
          kann, lässt sich sehr schön am Beispiel der
        
        
          Automobilbranche beobachten: Seitdem der
        
        
          Zugang zum Kapitalmarkt in den Wochen nach
        
        
          dem Ausfall von Lehman 2008 plötzlich nicht
        
        
          mehr möglich war, haben die meisten Unter-
        
        
          nehmen dieses Sektors ihr Liquiditätspolster in
        
        
          den Folgejahren aus Sicherheitsgründen deut-
        
        
          lich aufgestockt.
        
        
          Vorsorge vor Konjunkturrisiken
        
        
          Ein Risiko, das sich zur Veranschaulichung
        
        
          leicht verallgemeinern lässt, ist das Konjunk-
        
        
          turrisiko. Konjunktureinbrüche treffen die al-
        
        
          lermeisten Unternehmen, insbesondere aber
        
        
          Firmen in zyklischen Branchen und mit hoher
        
        
          Fremdfinanzierung. Konjunktureinbrüche kön-
        
        
          nen jederzeit eintreten, wie die Jahre 2001
        
        
          und 2008 gezeigt haben. Problematisch sind
        
        
          sie für Unternehmen insbesondere dann, wenn
        
        
          sie deflationären Charakter haben, wenn also
        
        
          die Betriebswerte im Vergleich zu den Schul-
        
        
          den sinken und somit ganze Branchen unter
        
        
          Druck geraten.
        
        
          Eine schädliche Deflation entwickelt sich zu-
        
        
          meist im Zusammenhang mit politischen Kri-
        
        
          sen oder einer Banken- oder Immobilienkrise
        
        
          und verringert den Wert von Sach- und somit
        
        
          Unternehmenswerten signifikant. In Japan
        
        
          haben beispielsweise Sach- und Betriebswer-
        
        
          te seit dem Platzen der Immobilien- und Kre-
        
        
          ditblase im Jahr 1989 kontinuierlich an Wert
        
        
          
            Effektive Kapitalanlage für
          
        
        
          
            Unternehmen
          
        
        
          von Leonhard von Metzler und Daniel Theilen
        
        
          
            CM Mai / Juni 2015