wirtschaft und weiterbildung 2/2019 - page 39

wirtschaft + weiterbildung
02_2019
39
Amazon-Mitarbeiter.
Dennis Henning und
Martin Lesser lernen Berufskraftfahrer.
genen Kerngeschäft nichts zu tun haben.
Die Themenbereiche reichen von Verwal-
tung über Maschinenbau, Handwerk und
IT bis hin zu Gesundheitswesen sowie
Transport und Logistik.
Amazon übernimmt 95 Prozent der Kos-
ten bis zu einem Höchstbetrag von 8.000
Euro und unterstützt Mitarbeiter maxi-
mal vier Jahre lang. Dabei spielt es keine
Rolle, ob sie dieses Budget für eine mehr-
jährige Ausbildung oder mehrere kürzere
Trainings einsetzen, solange sie Förder-
budget und Förderungszeitraum nicht
überschreiten. Einzige Zugangsvoraus-
setzung ist, dass sie seit zwei Jahren ohne
Unterbrechung im Unternehmen beschäf-
tigt sind. Buchhalter, Krankenpfleger,
Softwareentwickler oder Berufskraftfah-
rer – so exotisch diese Mischung klingen
mag, allen Qualifikationen und Ausbil-
dungen im Katalog ist eines gemeinsam:
Sie versprechen beste Berufsaussichten.
Das Bildungsprogramm war von Beginn
an darauf ausgerichtet, den Arbeitneh-
mern eine realistische Chance für eine
Weiterentwicklung in qualifiziertere Tä-
tigkeiten zu ermöglichen, ob bei Amazon
selbst oder bei einem anderen Arbeitge-
ber. Ein Beispiel dafür ist die Ausbildung
zum Berufskraftfahrer, die am Arbeits-
markt händeringend gesucht werden.
Amazon sorgt für mehr
Berufskraftfahrer
Das Unternehmen arbeitet für „Career
Choice“ mit einer kleinen Auswahl an
Bildungspartnern zusammen. Einer
davon ist die Dekra Akademie, mit der
das Unternehmen seine Berufskraftfah-
rerqualifizierung deutschlandweit um-
setzt. Gemeinsam haben sie den Rahmen
für die Ausbildung zum Berufskraftfahrer
festgelegt, die an allen Standorten einheit-
lich angeboten wird. Bei der Auswahl der
Bildungsdienstleister ist Rabea Tamm, der
Leiterin von „Career Choice“ in Europa
und Südafrika, wichtig, dass diese an den
unterschiedlichen Standorten präsent
sind und langjährige Erfahrung haben.
Außerdem legt sie großen Wert darauf,
dass mögliche Partner das Programm und
die Philosophie dahinter verstehen.
Amazon geht nach einer abgeschlos-
senen Weiterbildung sogar noch einen
Schritt weiter und erleichtert wechsel­
interessierten Teilnehmern mit einer
neuen Qualifikation, für die es im Unter-
nehmen keinen Bedarf gibt, den Kontakt
zu passenden Arbeitgebern. Im Fall der
Berufskraftfahrer stellt die Dekra Akade-
mie bei Interesse den Kontakt zu Logis-
tikunternehmen in ihrem Netzwerk her.
Nun ist geplant, die Partnerschaft auf
weitere Bereiche auszudehnen.
Herausforderung: Bildungs-
muffel zum Lernen motivieren
Die Resonanz auf „Career Choice“ ist
sehr positiv. Derzeit befinden sich in
Deutschland rund 300 Mitarbeiter in
einer Aus- oder Weiterbildung. Rabea
Tamm wirbt intern weiterhin für das frei-
willige Programm, zum Beispiel über Vi-
deos oder Berichte von Mitarbeitern bei
Quartalstreffen an den Standorten. Eine
Herausforderung ist jedoch die Tatsache,
dass Beschäftigte in der Logistik und in
den Servicecentern oft seit Längerem
keine Weiterbildung mehr besucht oder
in der Vergangenheit schlechte Lernerfah-
rungen gemacht haben. „Gerade wenn
Mitarbeiter zum Beispiel ihre Schulzeit
oder die Ausbildung mit negativen Erleb-
nissen verbinden, dann ist es schwer, sie
zu einer Weiterbildung zu motivieren“,
erläutert Rabea Tamm.
Vorbehalte versucht die Personalent-
wicklung über „Career Skills“ nach und
nach abzubauen. Dabei handelt es sich
um komprimierte Einsteigermodule zu
Themen, welche die konkrete Arbeit be-
treffen. Die Lerneinheiten, die nur wenige
Stunden umfassen, finden an allen Stand-
orten regelmäßig statt. Sie sollen nicht
nur konkretes Know-how vermitteln,
sondern auch Mut zum Lernen machen
und das Selbstbewusstsein stärken. Die
positiven Erfahrungen motivieren Mitar-
beiter nach und nach, sich an weitere und
umfassendere Trainings heranzuwagen.
Gerade in Deutschland stößt Rabea Tamm
immer wieder auf Unverständnis. Viele
können angesichts der Lage am Bewer-
bermarkt nicht nachvollziehen, weshalb
das Unternehmen nicht ausschließlich für
die Tätigkeit im eigenen Haus qualifiziert.
„In Europa ist die Philosophie von ‚Com-
munity Education‘ noch nicht so verbrei-
tet wie in Amerika“, erzählt Rabea Tamm.
Dabei handelt es sich um den Ansatz,
weiter gefasste Bildungsmaßnahmen
als Teil der Corporate Responsibility zu
betrachten. Allerdings geht es nicht um
Qualifizierung nur um der Qualifizierung
willen. Gefördert werden nur Aus- und
Weiterbildungen, die am Arbeitsmarkt ge-
fragt sind und Kandidaten entsprechend
gute Chancen auf einen Arbeitsplatz ver-
schaffen. Die Weiterbildungsinhalte sind
nicht in Stein gemeißelt, denn das globale
Team beobachtet kontinuierlich die Ver-
änderungen und den Bedarf am Arbeits-
markt. Rabea Tamm und ihre Kollegen
werten die Ergebnisse dieser Analysen für
Europa aus und passen die Trainingsan-
gebote für die unterschiedlichen Märkte
entsprechend an.
Auch wenn es zunächst widersinnig
klingt, Fachkräfte quasi für den Markt
auszubilden, ist Rabea Tamm von dem
Bildungsprogramm voll überzeugt:
„Wenn wir mehrere Jahre mit der guten
Leistung eines Mitarbeiters rechnen
können und dieser irgendwann sagt, er
möchte noch etwas anderes machen,
dann unterstützen wir das auch. Hat er
danach bessere Chancen am Arbeits-
markt und findet einen guten Job, behält
er Amazon in guter Erinnerung. Wechselt
er intern in eine andere Position, ist er
hoch motiviert und loyal – was will man
mehr als Arbeitgeber?“
Ulla Laux
Foto: Amazon Bad Hersfeld
1...,29,30,31,32,33,34,35,36,37,38 40,41,42,43,44,45,46,47,48,49,...68
Powered by FlippingBook