training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
02_2019
viele, die gehen in einen firmeninternen
Inkubator. Dann sind sie frustriert und
wechseln zur Konkurrenz. Dort merken
sie, dass es genauso läuft. Schließlich
versuchen sie es selbst und verlassen das
Unternehmen. Das ist ein Riesenproblem,
weil die Unternehmen so ihre besten Ta-
lente verlieren. Bill Fischer von der IMD
Business School in Lausanne sagt immer,
wir kämpfen erfolgreich um die besten
Talente und dann machen wir sie zu mit-
telmäßigen Mitarbeitern. Das ist wirklich
ein Witz.
Woran erkenne ich als Mitarbeiter, ob ein
Unternehmen Innovation ernst nimmt?
Osterwalder:
Der erste Punkt ist, wie viel
Zeit das Topmanagement mit Innovation
verbringt. Aber zu den Informationen hat
man nicht immer Zugang. Wer in einem
neuen Innovationsteam arbeiten will,
sollte dem Teamleiter die Frage stellen:
Wie viel Zeit bekommst du vom Topma-
nagement? Und wenn er diese Person
nicht wöchentlich trifft, hat Innovation
keinen Platz in diesem Unternehmen.
Oder ich schaue mir die letzten vier Mee-
tings an. Wenn auf der Agenda nirgends
das Thema Innovation steht, ist es nur ein
Lippenbekenntnis. Innovation wird nicht
top-down definiert, sondern legitimiert.
Die Ideen kommen bottom-up, aber wenn
der entsprechende Kontext und die Kon-
ditionen nicht von oben kreiert werden,
kommt ein Innovator nie voran.
Welche Rolle spielt HR dabei?
Osterwalder:
HR spielt eine große Rolle,
vor allem, weil Manager und Innovatoren
ganz unterschiedliche Fähigkeiten brau-
chen. Das muss erst einmal breitflächig
bekannt gemacht werden. Bis zu einem
gewissen Grad müssen heute alle Mitar-
beiter lernen zu experimentieren, um das
bestehende Geschäft besser zu machen.
Dabei könnte HR eine große Rolle spie-
len, um dieses Denken ins Unternehmen
reinzubringen. Da tut HR noch nicht
genug. Und es braucht Veränderungen bei
der Beurteilung von Mitarbeitern.
Inwiefern?
Osterwalder:
Je nachdem, was der Mit-
arbeiter macht, muss er anders bewertet
werden. Wenn ich als Supply-Chain-Ma-
nager für eine Produktlinie zuständig bin,
ist Scheitern natürlich nicht unbedingt so
gefragt. Als Innovator müsste ich dage-
gen belohnt werden, wenn ich zwar ge-
scheitert bin, aber daraus gelernt habe. So
erklärt Amazon-Chef Jeff Bezos immer,
dass Amazon der beste Platz zum Schei-
tern ist. Vor allem muss HR erst mal ver-
stehen, was Innovation ist und bedeutet.
Das ist leider nur sehr selten der Fall. Da
gibt es viele Mythen.
Zum Beispiel?
Osterwalder:
Ein Mythos ist, dass es
nur die richtige Person und die richtige
Idee braucht, dann klappt alles. Das ist
Quatsch. Ideen gibt es überall. Und alle
Unternehmen haben auch kreative Mitar-
beiter. Wirklich schwierig ist es, eine Idee
in ein Wertversprechen zu verwandeln,
das die Kunden wollen. Dafür muss ich
experimentieren. Ich brauche also kein
Genie, sondern die richtigen Prozesse. Da
kann HR sehr viel mithelfen.
Aber das Experimentieren kostet Geld ...
Osterwalder:
Das ist auch wieder so ein
Mythos. Viele glauben, Innovationen
sind teuer und risikoreich. Aber das ist
nur der Fall, wenn ich es falsch mache.
Wenn ich eine Idee habe, muss ich diese
schnell und billig testen. Also spreche ich
mit Kunden. Erst wenn ich weiß, dass die
Idee ein echtes Potenzial hat, kann ich
mehr investieren. Das heißt, am Anfang
ist Innovation nicht teuer. Erst wenn ich
skaliere, brauche ich mehr Geld. Aber
dann sollte ich auch wissen, dass die Er-
folgsaussicht gut ist.
Sie nennen immer wieder Amazon als
Vorzeigebeispiel. Gibt es denn auch noch
andere Unternehmen, die so agieren?
Osterwalder:
Vielleicht noch Adobe oder
Netflix. Aber auch Bayer und Bosch sind
meiner Meinung nach auf einem guten
Weg. Die haben jedes Jahr 40 bis 60
Teams, die drei Monate lang Ideen testen.
Nach drei Monaten investieren sie unge-
fähr in ein Drittel der Ideen. Nur die mit
dem besten Potenzial bekommen Geld.
Denn man muss sich klar machen: Sie-
ben von zehn neuen Produkten scheitern.
Um ein milliardenschweres Geschäft zu
etablieren, braucht es mindestens 250
Projekte.
Gerade die US-Firmen stehen stark unter
dem Druck der Aktionäre. Akzeptieren
die denn das Scheitern?
Osterwalder:
Das ist auch wieder so ein
Missverständnis. Natürlich muss man
Wachstum liefern, aber gleichzeitig auch
experimentieren. Die Aktionäre wollen
beides sehen. Dabei darf man nie das
Kerngeschäft vernachlässigen. Denn das
muss das Geld generieren, das ich in In-
novationen investiere. Amazon verteilt
daher seine Gewinne nicht und kauft
keine Aktien zurück, sondern investiert
sie in neue Produkte. Die meisten Unter-
nehmen kaufen dagegen Aktien zurück
oder machen unsinnige Akquisitionen.
Warum unsinnig?
Osterwalder:
Meist fehlt die strategische
Vision. Amazon war ein E-Commerce-
Einzelhändler, der Bücher verkauft hat.
Dann haben sie angefangen, Webservices
an andere Unternehmen zu verkaufen.
Das klingt erst mal verrückt. Aber Jeff
Bezos hat eine klare Vision: Wir inves-
tieren in Wachstumsbereiche, wenn zwei
Konditionen zutreffen. Einerseits muss
es eine starke Synergie mit unserem be-
stehenden Geschäft geben. Das war bei
Webservices der Fall. Und zudem muss
das neue Geschäft mindestens so groß
werden können wie das bestehende.
Auch das hat geklappt. Jedes Unterneh-
men braucht daher eine Vision, damit
es weiß, in was es investiert und in was
nicht. Man muss das Spielfeld abgrenzen.
Was ist drinnen und was ist draußen.
Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern
auch darum, welche neuen Ideen meine
Teams ausprobieren sollen.
Können Akquisitionen eigene
Innovationen ersetzen?
Osterwalder:
Wenn ich etwas kaufe, bin
R
„Unternehmen kämpfen erfolgreich um die besten
Talente und dann machen sie sie zu mittelmäßigen
Mitarbeitern. Das ist wirklich ein Witz.“