wirtschaft und weiterbildung 2/2019 - page 26

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wirtschaft + weiterbildung
02_2019
titelthema
Der Stahlhändler hat vor gut drei Jahren
die „Klöckner.i“ in Berlin gegründet, und
damit einen Standort, wo alle E-Com-
merce-Aktivitäten gebündelt werden.
Kramer:
Bei einer solchen Ausgründung
sollte die Geschäftsführung frühzeitig
dafür Sorge tragen, dass das Lab regel-
mäßig den Austausch mit der Unterneh-
menszentrale sucht. Sonst können zwei
parallele Kulturen und das sogenannte
„Not-invented-here-Syndrom“ entste-
hen. Dann heißt es etwa, „Das sind die
jungen Wilden, die in Berlin verrückte
Ideen für die Zukunft entwickeln“. Um
das zu verhindern, kann man zum Bei-
spiel erfahrene Mitarbeiter in die neuen
Innovation Labs miteinbeziehen, die
dann als Schnittstelle fungieren. Sinn-
voll sind auch Rotationsprogramme, bei
denen Mitarbeiter drei, sechs oder zwölf
Monate in dem neu geschaffenen Lab ar-
beiten, und danach wieder an ihren alten
Arbeitsplatz zurückkehren.
Wenn man es schafft, das Innovation
Lab als kreative Spielwiese zu installie-
ren und den Innovationsgeist von dort
kontinuierlich auf den Rest der Organisa-
tion zu übertragen, dann hat man einen
großen Schritt nach vorne geschafft.
Bosch:
Da greift auch der Fluch der
Größe. Ich habe erlebt, dass solche In-
kubatoren bis zu einer überschaubaren
Größe von 200 Leuten gut funktionie-
ren können. Entscheidend ist, was dann
passiert. Bei einer zu engen Andockung
besteht die Gefahr, dass die Inkubatoren
von der Hauptorganisation vereinnahmt
werden. Erfolg versprechender ist eine
Entkopplung oder Anbindung „auf Ar-
meslänge“ mit einer stabilen Nabelschnur
zum Rest des Unternehmens.
Was kann man sonst noch von häufigen
Fehlern anderer Unternehmen lernen?
Kramer:
Viele Unternehmen schieben
das Thema Digitalisierung zu lange auf.
Wenn dann endlich der Startschuss fällt,
wird die Aufgabe der Digitalisierung
häufig an eine einzelne Person dele-
giert, zum Beispiel an den Chief Digital
Officer (CDO). Diese Person wird dann
zur eierlegenden Wollmilchsau, denn sie
zeichnet für sämtliche digitale Themen
verantwortlich – von interner IT über Di-
gitalmarketing bis hin zu disruptiven Ge-
schäftsmodellen. Doch auf sich allein ge-
stellt kann ein CDO diese breite Palette an
Themen nicht meistern. Trotzdem fühlt
sich der Vorstand im Bereich der Digitali-
sierung sicher, weil er einen Alibi-CDO in-
stalliert hat. Ein häufiger Fehler ist auch,
dass man in wirtschaftlich erfolgreichen
Zeiten das Thema halbherzig angeht.
Gerade deutsche Unternehmen befinden
sich oft in der Effizienzfalle: Sie sind so
stark auf Effizienz getrimmt, dass jede
Investition in unsichere Zukunftsmodelle
nur als Kostenfaktor gesehen wird.
Hentschel:
Technologie wird außerdem
sehr stark in Geschäftsbereiche und Units
delegiert, wo sich das Thema Digitalisie-
rung verselbstständigt. Die Folge sind IT-
Flickenteppiche. Systeme werden nicht
zentral gesteuert, weil Vorstände gar
nicht die nötigen Einblicke in Software
und IT haben.
Wer sollte bei der Digital-Offroad-
Strategie am Steuer sitzen?
Hentschel:
Grundsätzlich ist der Vor-
standsvorsitzende oder Geschäftsführer
in Personalunion auch CDO, wenn es
gut läuft. Falls er die Digitalkompetenz
an einen CDO auslagert, darf dieser kein
zahnloser Tiger sein, der weder Budget-
Verantwortung noch Personalverantwor-
tung hat. Eine derartige Seelentröster-
funktion kann man sich gleich sparen.
Kramer:
Neben dem CEO oder CDO
müssen alle Führungskräfte die digitale
Agenda vorantreiben. Der CMO kann
R
„Unternehmen befinden sich oft in der Effizienzfalle:
Sie sind so stark auf Effizienz getrimmt, dass jede
Investition in unsichere Zukunftsmodelle nur als
Kostenfaktor gesehen wird.“
Stefan Hentschel.
Als
„Industry Leader“ ist
er bei Google Germany
zuständig für strategische
Zusammenarbeit.
Foto: Enver Hirsch
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