wirtschaft + weiterbildung
02_2019
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mehr als 1.000 selbstverwaltete Teams. Und diese brauchen
eine klare Vision für ihre Entscheidungsprozesse.
Rebellen, die Geschichte schrieben, verstießen meist gegen
Machtstrukturen, Konventionen und Regeln. Wie sieht das bei
den „Corporate Rebels“ aus?
Minnaar:
Ja, sie brechen Regeln, vor allem Regeln, die für sie
keinen Sinn ergeben. Sie sind überhaupt nicht gehorsam und
obrigkeitshörig. Wer ihnen etwas verbieten will, muss erklä
ren können, warum. Wenn ihre Organisationen groß genug
geworden sind, können sie selbst die Stakeholder beeinflussen.
Hier in Holland redet Jos de Blok jetzt bei den Regeln mit, die
die Regierung für die Wirtschaft aufstellt. Er tut manchmal
etwas, das offiziell nicht erlaubt ist, aber er zeigt, dass es funk
tioniert und bittet danach um Erlaubnis. Das ist eine typische
Vorgehensweise von Corporate Rebels. Kommunikation und
Transparenz sind in diesem Sinne sehr wichtig, damit man Re
geln brechen kann. Organisationsrebellen können begründen,
warum das nötig ist und zeigen einfach, dass es anders geht.
Wer selbst an der Macht ist, kann die Regeln leicht ändern.
Aber die angestellten „Game Changer“ in den Konzernen, die
keine Topposition haben, sind das nicht die wahren Rebellen?
Minnaar:
Die Tatsache, dass ich hauptsächlich über Top
manager und Gründer spreche, liegt daran, dass wir deren Ge
schichten leichter mitbekommen. Die Organisationsrebellen,
die selbst keine hohe Führungsposition haben, agieren oft im
Verborgenen. Wie in der Armee: Wir kennen die Namen der
Generäle, aber nicht die der Fußsoldaten. Aber ich kann auch
hier ein interessantes Beispiel nennen: Frank van Massenhove
wurde Leiter der belgischen Sozialabteilung „FOD Sociale
Zaken“. Um Leiter dieser Abteilung zu werden, musste er sich
bei einer Kommission bewerben. Im Vorstellungsgespräch er
weckte er den Eindruck, ein sehr traditioneller Leader zu sein,
um den Job zu bekommen. Als er die neue Position antrat,
versammelte er alle rund 1.500 Mitarbeiter und erklärte ihnen
seine Vision und dass er ihnen viel Freiheit geben wird. Er bat
sie allerdings, niemandem von diesem Veränderungsprozess
zu erzählen. Wenn jemand von außen davon Wind bekommen
hätte, wäre er gestoppt worden. Also schlossen sie die Türen
für fast drei Jahre. In der Zeit hat sich die Abteilung komplett
umstrukturiert und die meisten Regeln abgeschafft. Die Mitar
beiter konnten von überall und jederzeit arbeiten. Dann trat er
wieder vor die Kommission und meinte: „Ich weiß, dass Euch
diese Art zu arbeiten nicht gefällt, aber wir haben jedes Jahr
eine Produktivitätssteigerung von 10 Prozent. Die Ergebnisse
stimmen.“ Man braucht diese Art von Undercoververhalten,
wenn man noch nicht an der Spitze steht.
Passiert das häufig, dass Organisationsrebellen nicht wollen,
dass das Management etwas über ihre Aktivitäten erfährt?
Minnaar:
Leider, ja. Sie wissen, wenn sie zu weit gehen,
werden sie von ihrem Management aufgehalten. Manchmal
beginnt eine Abteilung oder ein Team, die Dinge anders zu
machen, und der Rest der Organisation folgt nach. Aber das
ist ziemlich selten, denn um diese Änderung vorzunehmen,
braucht man die Erlaubnis der obersten Führung – zumindest
bis zu einem gewissen Grad. Wir haben noch keinen wirk
lichen Coup gesehen, der sich so abgespielt hätte: Ein großes
Unternehmen verändert sich völlig, während die Führung das
nicht wollte. Für das Management ist es ein leichtes, solche
Strömungen abzuwürgen. Veränderungen sind eher möglich,
wenn Topführungskräfte bestimmte Veränderungen zwar nicht
unterstützen, aber sie auch nicht aufhalten.
Derzeit rufen viele Unternehmen nach mehr Innovationen.
Entsteht da gerade ein besseres Klima für Rebellen?
Minnaar:
Leider ist das meist eine Art Fake-Freiheit. Du kannst
neue Dinge ausprobieren und bekommst die Ressourcen, bis
du erfolgreich bist. Dann greift die Firma mit all ihren Regeln
und Einschränkungen die Idee einfach ab. Ich nenne das mit
telmäßiges Intrapreneurship. Vielleicht ist das immer noch
besser als der traditionelle Weg, aber echte Pioniere machen
das radikaler. Wenn man an Daimler oder Hugo Boss denkt:
Start-up-Projekte in deren Inkubatoren-Programmen werden
trotz aller Ressourcen und Markenmacht nur zu zehn Prozent
realisiert. Haier hingegen hat eine Erfolgsquote von 40 Prozent
der geförderten Projekte, die sogar von außerhalb Venture Ca
pital erhalten.
Interview: Stefanie Hornung
Corporate Rebels.
Seit 2016 sind Joost Minnaar (rechts) und sein langjähriger Freund Pim de
Morree auf der Suche nach alternativen Arbeits- und Organisationsformen. Sie beraten
Unternehmen bei Transformationsprozessen und sind Keynote Speaker bei Business Events.
Beispiele.
In seinem Januar-Heft stellt
das „Personalmagazin“ eine Vielzahl
von Rebellen namentlich vor.
Foto: Corp. Rebels