wirtschaft + weiterbildung
02_2019
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gehende Aufarbeitung der generierten
Ideen. Um als Unternehmen langfristig
auf der Erfolgsspur zu bleiben, genügt es
jedoch nicht, ein Frühwarnsystem in der
Unternehmenskultur zu installieren. Dies
ist zwar ein enorm wichtiger, jedoch nur
ein erster Schritt.
Ein klares Ziel muss sein
Unternehmen, die eine Digital-Offroad-
Strategie wählen und die Hauptstraße
verlassen, müssen ein klares Ziel vor
Augen haben. Wer eigene Wege be-
schreitet, muss wissen, wohin die Reise
gehen soll. Bei der Neuausrichtung der
Kultur im Sinne von Digital Offroad gibt
es zwei Orientierungspunkte: Kunden-
anforderungen und Sinnstiftung. Etwas
anders zu machen als die anderen, ist
zwar ein weit verbreiteter Wunsch, in
der Realität ist es jedoch einfacher, der
großen Masse zu folgen. Soziale Einbet-
tung und Pfadabhängigkeit führen zu
Konsensorientierung und Konformität.
Das Ausscheren aus dem Hauptfeld geht
mit der Herausforderung einher, es nicht
allen Anspruchsgruppen recht machen
zu können und bewusst neue Wege zu
gehen, die vielleicht deutlich vom bishe-
rigen Pfad abweichen. Dies erfordert Mut
zur Konsequenz. Unternehmen, die ins
Digital Offroad aufbrechen, müssen sich
auch in gewisser Weise „durchschlagen“
sowie ihre Geländegängigkeit und ihr Im-
provisationstalent unter Beweis stellen.
Bei der Orientierung im unbekannten Ter-
rain gilt: weniger ist mehr. Hochgerüstete
technische Hilfsmittel können leicht zum
Verlust der Ortskenntnisse sowie einer
Beeinträchtigung des Orientierungssinns
führen. Im Digital Offroad sind sowohl
Innovationen als auch Ansätze der alten
Schule gefragt. Nicht das vollständige
Ausleuchten des Weges, sondern das
richtige Gefühl für den Untergrund ist
dabei wichtig.
Wenn im Offroad-Fahrzeug die Rollen
klar verteilt sind und die Navigation ein-
gespielt ist, braucht man Geschwindig-
keit. Heute müssen Unternehmen Markt
entwicklungen in Echtzeit adaptieren
und daraus kundenrelevante Lösungen
kreieren. Eric Ries, der Vater der Lean-
Start-up-Methode, rät Unternehmen zur
Integration einer dauerhaften Feedback-
schleife von „bauen, testen, lernen“.
Das permanente Lernen wird dabei zum
Überlebensticket. Große Unternehmen
können so in der gleichen Innovations-
geschwindigkeit und Agilität wie Start-
ups agieren. Eine echte Innovation ist
übrigens eine Idee, die nicht nur für ein
Unternehmen, sondern für den Markt
komplett neu ist. Eine bislang unbe-
kannte Art von Problemlösung. So war
der Laptop bei seinem Erscheinen eine
wirkliche Innovation. Warum sind echte
Innovationen so selten? Bosch, Hentschel
und Kramer wissen die Antwort: „In den
allermeisten Unternehmen herrscht keine
mutige Kultur der Innovation, sondern
eine angstgeprägte Kultur des Kopierens
und Reproduzierens. Doch das ständige
Bemühen, die Erfolge der anderen nach-
zuahmen, ist eine Sackgasse.“ Im Grunde
jedoch haben große Unternehmen ex-
tremes Innovationspotenzial. Sie haben
alles, was sie dazu brauchen: gutes Perso-
nal, Finanzkraft, Technologien, Industrie-
Know-how und Marketing-Power. Echte
Spitzen-Innovatoren attackieren neue
Märkte und auch sich selbst. Sie testen
eine große Anzahl an Ideen, loten ein
weites Feld an Ideen aus (kleine, große,
sensible, absurde Ideen) oder verabschie-
den Ideen möglichst in kurzer Frequenz,
am besten im Tages- oder Wochenrhyth-
mus. Der Nachschub an guten Ideen ist
überlebenswichtig, da im Durchschnitt
pro Jahr weltweit rund 25.500 neue Pro-
dukte gelauncht werden, von denen aller-
dings 80 Prozent als Flop enden.
Vom Rapid Prototyping zum
Pretotyping
Profis versuchen Flops durch Rapid Pro-
totyping („schneller Bau eines Modells“)
zu verhindern. Dabei handelt es sich um
eine elegante Methode, schon frühzei-
tig in der Planung eine Art „Modell“ zu
bauen. Somit können schon zu Beginn
Fehler oder Schwächen erkannt und be-
hoben werden, bevor innerhalb des rich-
tigen Produktionsprozesses hohe Kosten
anfallen, um erst dann entdeckte Fehler
zu beheben. Eine sehr elegante Variante
des Rapid Prototyping, um noch schnel-
ler und kostengünstiger ans Ziel zu kom-
men, ist das Pretotyping. Dabei kümmert
man sich darum, ob man ein Produkt
tatsächlich bauen sollte. Pretotypen sind
schnelle, billige Tests, bei denen ausge-
lotet wird, ob eine Innovation für ihren
Markt überhaupt attraktiv ist. Extrem
schnelles, unkonventionelles Marktfeed-
back mit konkretem Kunden- und Pro-
duktservicefeedback wird zum kritischen
Erfolgsfaktor. In der Praxis wird im Preto-
typing mit diversen Techniken gearbeitet.
Eine ist die „Fake Door“-Methode. Mit
ihr testet man die Kaufbereitschaft der
Kunden in Bezug auf Dinge, die es noch
gar nicht gibt. McDonald’s setzte einmal
„McSpaghetti“ auf die Speisekarten von
Testfilialen. Sollte ein Kunde McSpaghetti
bestellen, bittet man ihn um Verzeihung
und erklärt, dass der Artikel leider gerade
ausverkauft sei. Um den Kunden nicht zu
frustrieren, bietet man ihm einen Rabatt
auf ein alternatives Produkt an. Nach
einer Woche hatte man valide Daten: We-
niger als 20Prozent der Personen wollten
McSpaghetti. Damit war diese Innovation
gestorben.
Fehlerkultur wichtig
Wer nach Innovationen sucht, macht
Fehler. Unternehmen tun gut daran, eine
positive Fehlerkultur zu etablieren, denn
Fehlerkultur ist eine Führungsaufgabe:
Die Geschäftsführung geht mit gutem
Beispiel voran, indem sie eigene Fehler
eingesteht und die Erfahrungen hieraus
mitteilt. Das neue Leitbild einer Fehler-
toleranz wird in Verhalten übersetzt und
für alle Mitarbeiter erlebbar. Auch die
Verflachung von Hierarchien wirkt sich
R
Buchtipp.
Ulf Bosch, Stefan Hentschel,
Steffen Kramer: „Digital Offroad“,
Verlag Haufe-Lexware, Freiburg 2018,
230 Seiten, 24,95 Euro