wirtschaft und weiterbildung 2/2019 - page 28

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wirtschaft + weiterbildung
02_2019
titelthema
Nicht nur den Vermittlern von Fach-
wissen, sondern auch den klassischen
BWL-Beratern wird das nicht gefallen …
Keese:
Nehmen wir zum Beispiel einen
Supply-Chain-Berater, der bislang enga-
giert wurde, weil er die Einkaufspreise
im Durchschnitt um 15 Prozent drücken
konnte. In dem Maße wie der Einkauf
über eine Internetplattform abgewickelt
wird, zieht in den Unternehmen eine
ganz andere Form von Preistransparenz
ein. Das Wesen einer Plattform ist es ja,
dass die Marktteilnehmer immer alle
Preise sehen können. Das sorgt automa-
tisch dafür, dass man immer zum best-
möglichen Preis einkauft. Mein Denkan-
stoß für den Supply-Chain-Berater lautet:
Bring deinen Job auf die nächste Stufe.
Begib dich in ein Umfeld, wo du am Auf-
bau solch einer Supply-Chain-Plattform
mitwirken kannst. Diejenigen, die einen
Algorithmus programmieren, verstehen
meistens nichts von Lieferketten. Also
sollte ein Berater sein Wissen nehmen
und es mithilfe einer Plattform skalierbar
machen. Mein Rat: Mache es jetzt – bevor
es alle gleichzeitig machen wollen. Es gibt
einen First Mover Advantage. Wer sich als
Erster bewegt, hat die größten Möglich-
keiten, sich am Markt zu bewähren.
Viele haben Angst, in unsicheren Zeiten
auf etwas Neues zu setzen …
Keese:
Wenn ich heute meine Kunden zu
100 Prozent persönlich berate, dann be-
deutet das ja nicht, dass ich ab morgen
genau null Prozent persönlich berate. Ich
könnte als Freiberufler an einem Tag in
der Woche das Feld der Plattformökono-
mie erkunden und herausfinden, an wel-
cher Stelle meine Expertise benötigt wird.
Niemand muss derzeit krasse Existenz-
entscheidungen treffen. Es handelt sich
um eine schleichende Entwicklung. Aber
man sollte sich auch im Klaren darüber
sein, dass es keinen Last Mover Advan-
tage gibt.
Wie sehr hat die Digitalisierung auch die
Coaching-Branche erreicht?
Keese:
Junge Manager mögen sofortiges
Feedback und sind lernfähig – solange
das Feedback auf Daten beruht. Ein Busi-
ness Coach, der aus seiner subjektiven
Wahrnehmung heraus Feedback gibt,
Der Kern von Keeses Buch „Disrupt your-
self“ besteht darin, dass der Autor den
Leser auffordert, sich selbst und seine Ar-
beit in einem Gedankenexperiment über-
flüssig zu machen. Die entsprechende
Technik heißt „Den eigenen Wert pro-
beweise auf null setzen“. Man stellt sich
dabei vor, ein Angreifer würde mithilfe
von künstlicher Intelligenz den eigenen
Beruf überflüssig machen. Wie würden
die Arbeitsprozesse dann organisiert?
Diese Technik soll dazu führen, dass man
sich rechtzeitig anpasst.
Wie wird sich künstliche Intelligenz auf
die Wissensvermittlung im beruflichen
Umfeld auswirken?
Christoph Keese:
Wir können feststellen,
dass es immer mehr auf künstliche Intel-
ligenz gestützte Expertensysteme gibt, die
Entscheidungen von Managern individu-
ell vorbereiten oder den Managern die
Entscheidungen sogar abnehmen, weil
sie Daten schneller und präziser verarbei-
ten. Manager brauchen dann nicht mehr
so viel Fachwissen, um ihre Arbeit zu be-
herrschen. Sie müssen entsprechend we-
niger geschult werden. Ein Beispiel: Der
Leiter der Finanzbuchhaltung eines Mit-
telständlers kümmert sich bislang inten-
siv um die Optimierung des Cash Flows.
Aber es gibt bereits eine Software, die
dank künstlicher Intelligenz in der Lage
ist, aus den Berichten des Außendienstes
auf künftige Umsätze und Zahlungsein-
gänge zu schließen. Und da die Software
anstehende Zahlungsausgänge ebenso
im Blick hat, übernimmt die Software die
Optimierung des Cash Flows ganz eigen-
ständig. Der Manager kann sich anderen
Entscheidungen zuwenden.
„Trainer und Berater sollten
jetzt handeln!“
INTERVIEW.
Christoph Keese, einer der wichtigsten Digitalisierungsexperten Deutschlands
und Geschäftsführer der Axel Springer Hy GmbH in Berlin, hat kürzlich das Buch „Disrupt
Yourself“ veröffentlicht und den Deutschen empfohlen, sich „vorauseilend“ an die
Digitalisierung anzupassen. Was das für Trainer bedeutet, sagt er in diesem Interview.
Foto: Masterplan
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