wirtschaft und weiterbildung 2/2019 - page 25

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wirtschaft + weiterbildung
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haben im Gegensatz dazu oft Unterneh-
mer an ihrer Spitze, die eine Idee gegen
alle Konventionen verwirklichen wollen.
Diese Gründer und Visionäre folgen nicht
kurzfristigen Umsatzzielen, sondern
langfristigen strategischen Masterplänen.
Kurs zu halten, auch bei Widerständen
aus dem eigenen Unternehmen oder den
Kapitalmärkten, und der feste Glaube an
Erfolg sind wichtige Charaktereigenschaf-
ten. Diese Wesenszüge machen dann den
Unterschied zum Management-Main-
stream.
Sie sprechen in Ihrem Buch davon,
dass diese Unternehmer eine gesunde
Paranoia auszeichnet. Das hört sich
nach einem Widerspruch an. Was soll
an Wahnvorstellungen gut oder gesund
sein?
Hentschel:
Unternehmen müssen sich
immer schneller an die Entwicklungs-
und Marktlebenszyklen in ihren Indus-
trien ausrichten. Es hat 38 Jahre ge-
braucht, bis das Fernsehen 50 Millionen
Zuschauer gefunden hat – bei Youtube
und Facebook dagegen gerade einmal drei
Jahre und bei Whatsapp ein paar Monate.
Und diese Geschwindigkeit nimmt immer
weiter zu. Deshalb sollten Firmen darauf
vorbereitet sein, dass plötzlich ein Kon-
kurrent am Horizont auftauchen kann,
der die Marktbedingungen komplett
verändert. Wer ein geradezu paranoides
Mindset mitbringt und jederzeit mit allem
rechnet, hat eine Art Frühwarnsystem,
das sich nicht auf erreichten Erfolgen und
Business as usual ausruht. Jedes Unter-
nehmen sollte frühzeitig die Anforderun-
gen und Problemlagen analysieren und
dann den eigenen Weg finden.
Wie kann so ein Frühwarnsystem
konkret aussehen?
Hentschel:
Es lohnt sich, globale Stand-
beine zu haben, beispielsweise im Silicon
Valley oder auf dem asiatischen Markt.
Letzterer explodiert förmlich, jedoch ver-
schließt sich vielen Unternehmen hier
in Deutschland dieser gigantische Markt
noch kulturell und geografisch. Aber
auch digitale Hotspots in Europa spielen
eine immer größere Rolle. Aber das Maß
aller Dinge ist gerade Israel. Da sehen wir
eine sehr ausgeprägte Gründerszene mit
rund 6.500 Start-ups auf 8,5 Millionen
Einwohner – das ist europaweit spitze.
Deshalb haben die ganz Großen dort
auch Forschungsinstitute: Google, Face-
book, Microsoft und IBM sind in Tel Aviv
vertreten.
Können Sie Beispiele von Unternehmen
nennen, die auf dem Weg erfolgreich auf
die Digital-Offroad-Strategie abgebogen
sind?
Hentschel:
Die Entwicklung von Flix-
bus ist zum Beispiel beeindruckend. Der
Markt für Fernbusreisen war bis 2013 un-
attraktiv, hoch reguliert, mit einer großen
Anzahl von Wettbewerbern. Flixbus hat
technologiegetrieben mit über 200 Pro-
grammierern und Spezialisten für künst-
liche Intelligenz den Markt neu definiert.
Das Unternehmen hat die IT in den Vor-
dergrund gerückt und neue Strecken aus-
probiert, die es vorher gar nicht gab. Flix-
bus hat den Bedarf der Kunden antizipiert
und ist so in Europa und Deutschland
Marktführer geworden. Jetzt geht das Un-
ternehmen in die USA und legt sich dort
mit großen Busanbietern wie Greyhound
oder Megabus an. Seit Kurzem bietet Flix-
bus auch Fernzüge an. Das zeigt, wie er-
folgskritisch Technologie sein kann. Ein
anderes Beispiel ist Zappos, eines der
ersten E-Commerce-Unternehmen, die
Schuhe verkauft haben. Auch bei Zappos
stand von Beginn an der Kunde im Zen-
trum des gesamten Handelns. Da muss
auch mal der Sachbearbeiter oder jemand
aus dem Management im Callcenter sit-
zen, um zu erfahren, was die Kunden
wollen. Wenn die eigene Ware nicht ver-
fügbar oder ausgegangen ist, empfehlen
die Zappos-Mitarbeiter auch andere An-
bieter. Im Vordergrund stehen die positive
Assoziation mit Zappos und die langfris-
tige Kundenbindung.
Viele Unternehmen installieren für
Entwicklungsexperimente ausgelagerte
Innovation Labs. Braucht es derartige
Satelliten für mehr Innovationen jenseits
des Mainstreams?
Hentschel:
Viele traditionelle Großun-
ternehmen stellen fest, dass die Firmen-
politik an ihren traditionellen Standor-
ten Innovation verhindert. Dann ist es
durchaus angebracht, Innovationslabs
auszulagern. Die Firma Klöckner hat das
zum Beispiel sehr erfolgreich gemacht.
Ulf Bosch.
Der
Prokurist der
Pricewaterhouse-
Coopers (PwC) GmbH
ist dort für den Ansatz
„Return-on-Change“
verantwortlich.
Foto: Heinrich Völkel
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