wirtschaft und weiterbildung 1/2019 - page 36

personal- und organisationsentwicklung
36
wirtschaft + weiterbildung
01_2019
mühsam und zeitaufwendig. In der mi-
litärischen Luftfahrt gibt es für eine Flug-
stunde manchmal drei bis vier Stunden
Debriefing. Das kommt in der Wirtschaft
zu kurz.
Das Scheitern wird also nicht genug
hinterfragt?
Hagen:
Dafür nimmt man sich oft keine
Zeit. Dann heißt es: Das hat halt nicht
funktioniert, machen wir etwas ande-
res. Ein gutes Beispiel dafür, wie man
aus dem Scheitern lernen kann, ist die
Pharmaindustrie. Da funktionieren 90
Prozent nicht, aber trotzdem lernt man
aus jedem Versuch etwas. Scheitern ist
nur dann in Ordnung, wenn ich daraus
lerne. Dasselbe gilt übrigens für Erfolge.
Denn hier verfällt man schnell in den
sogenannten Survivor Bias. Da ein Er-
folg eine größere Sichtbarkeit hat als ein
Scheitern, neigt man systematisch dazu,
die Erfolgsaussichten zu überschätzen.
Aber vielleicht war der Erfolg einfach nur
Glück. Auch hier wäre daher eine sorgfäl-
tige Analyse hilfreich.
Inzwischen gibt es sogar Failure Nights,
auf denen die Teilnehmer über ihr
Scheitern berichten. Ist das der richtige
Ansatz?
Hagen:
Die Idee ist gut. Allerdings ist es
in der Regel ein bestimmter Persönlich-
keitstyp, der sich dort hinstellt. Und die
meisten haben dann später eben doch
Erfolg gehabt und können es sich daher
leisten, über ihr Scheitern zu sprechen. In
einem Unternehmen könnte das vielleicht
ein erster Schritt sein. Aber es würde
nicht genügen, um eine Fehlerkultur zu
etablieren. Und was da manchmal falsch
rüberkommt: Scheitern ist nun mal keine
komische Erfahrung, sondern unange-
nehm oder peinlich.
Manche Unternehmen feiern sogar den
Fehler des Monats.
Hagen:
Das geht mir zu weit und in die
falsche Richtung, weil es Fehler glorifi-
ziert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass
das ein guter Ansatz in einem Kranken-
haus wäre. Besser wäre ein gut aufbe-
reiteter Fehlerreport, wo jeder nachlesen
kann, wo es welche Fehler gab. Das ist
zwar nicht schön für den Betroffenen und
auch der Grund, weshalb der Bericht bes-
ser anonym bleiben sollte, aber manch-
mal sogar amüsant zu lesen. Da denkt
sich dann so mancher: Oje, das hätte mir
auch passieren können. Es ist immer bes-
ser, darüber zu sprechen oder zu berich-
ten, als jemanden dafür zu bestrafen. In
der Luftfahrt gibt es solche Reports be-
reits seit Langem.
Was können Unternehmen noch tun,
damit ein einzelner Mitarbeiter mit
seinen Beobachtungen oder Bedenken
auch Gehör findet?
Hagen:
Ein recht simpler Mechanismus,
der bei der NASA angewendet wird, ist
das dreistufige ABC-Modell. A steht für
Ask. Wenn ein Mitarbeiter merkt, dass
etwas schiefläuft, dann weist er dem an-
deren nicht die Schuld zu, sondern fragt:
Ist das richtig, dass du den roten Knopf
gedrückt hast? Der andere kann darüber
nachdenken und sich für den Hinweis be-
danken. Geht er nicht darauf ein, kommt
die nächste Stufe. B steht für „Bring in“,
also bringe dich ein: Ich bin besorgt,
dass du den roten Knopf gedrückt hast
und damit auch die Pumpe abgeschaltet
wurde. Man macht den anderen also auf
die Konsequenzen aufmerksam, die er
vielleicht nicht bedacht hat. Das ist aber
immer noch keine Schuldzuweisung.
Geht der andere auch darauf nicht ein,
kommt Stufe C für Challenge: Wenn die
Pumpe abgeschaltet ist, gefährdet das das
Funktionieren des gesamten Kraftwerks.
Das sind kaskadierende Sicherheitsme-
chanismen, bei der es für den anderen
immer unangenehmer wird. Das klingt
banal, funktioniert aber.
Fragen sind also die Zauberwaffe?
Hagen:
Eine Studie, die meine Kollegen
Zhike Lei von der Pepperdine University
in den USA, Avner Shahal von der Tech-
nischen Universität Berlin und ich bei
der deutschen und israelischen Luftwaffe
sowie einer europäischen Fluggesellschaft
durchgeführt haben, hat untersucht, wel-
chen Einfluss das Verhalten des Komman-
danten in einer Notfallsituation auf die
Team-Performance hat. Das Ergebnis war,
dass weder sein Alter noch seine Erfah-
rung eine Rolle spielt. Entscheidend ist,
ob er seinem Team Fragen stellt. Was seht
ihr? Welchen Schritt schlagt ihr vor? Dann
ging die Performance des Teams nach
oben. Als Führungskraft muss ich natür-
lich nicht alle Vorschläge befolgen, aber
ich brauche alle verfügbaren Informatio-
nen, weil ich dadurch meinen Blickwin-
kel erweitere und manchmal eine andere
Sicht auf die Situation bekomme.
Es heißt immer, die Deutschen hätten
besonders große Probleme mit Fehlern …
Hagen:
Es gibt keine Kultur, die gern Feh-
ler zugibt. Fehler zu machen, ist nun mal
einfach unangenehm. Die Besonderheit
der Deutschen ist vielleicht ihr Perfek-
tionsstreben. Wir wollen es richtig und
gründlich machen. Statt die Lernchan-
cen zu sehen, wird der „Schuldige“ oft
abgekanzelt oder bestraft. Bei den Ame-
rikanern ist das Scheitern weniger stig-
matisiert. Da heißt es nicht: Du kannst
das nicht, sondern probiere es noch mal.
Beim ersten Mal muss es nicht gleich per-
fekt sein.
Interview: Bärbel Schwertfeger
R
„Den Fehler des Monats zu feiern, geht in die
falsche Richtung, weil Fehler glorifiziert werden.“
Buchtipp.
Der Hobbypilot ist Herausgeber
des im Sommer 2018 erschienenen Buchs
„How Could This Happen – Managing
Errors in Organizations“.
1...,26,27,28,29,30,31,32,33,34,35 37,38,39,40,41,42,43,44,45,46,...68
Powered by FlippingBook