wirtschaft und weiterbildung 1/2019 - page 35

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wirtschaft + weiterbildung
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denken. Fehler sind einfach Teil mensch-
lichen Handelns und lassen sich auch bei
größter Sorgfalt nicht immer vermeiden.
Wichtig ist daher der konstruktive Um-
gang damit. Ein Manager könnte zum
Beispiel offen erklären: Da habe ich wirk-
lich falsch entschieden. Aber ich habe
daraus gelernt. Das wäre ein starkes Si­
gnal. Und das Gegenteil vomWinterkorn-
Modell bei VW.
VW ist ein besonders krasses Beispiel für
ein gescheitertes Fehlermanagement.
Wie konnte es dazu kommen?
Hagen:
Ich glaube, die VW-Manager sind
da reingeschlittert. Das beginnt eben
mit dem CEO. Martin Winterkorn ist das
Musterbeispiel eines detailversessenen
CEOs, der alles weiß, und seine Ent-
scheidungen wurden grundsätzlich nicht
infrage gestellt. Die Ingenieure wollten
Zeit gewinnen und haben eine Lösung ge-
sucht. Dann hat sich keiner mehr getraut,
auf die Risiken hinzuweisen. Jeder hat
versucht, sich mit seinem Nicht-wissen-
Wollen zu retten.
Aber auch unter dem neuen CEO scheint
sich nicht viel geändert zu haben.
Hagen:
Ja, es ist beängstigend, wie wenig
VW daraus gelernt hat. Der neue CEO
Herbert Diess macht mit demselben Spiel
weiter und schiebt die Schuld auf andere.
Das ist ein echtes Kulturproblem. Der
Austausch der obersten Management­
ebene ist zwar eine richtige Geste, reicht
aber bei Weitem nicht aus. Wichtig ist
es, schonungslos aufzuklären, warum es
überhaupt so weit kam und dazu muss
man auch die Führungskultur kritisch
hinterfragen. Einen ähnlichen Fall hatten
wir bei Thyssen. Auch Gerhard Cromme
hat in seinen Augen nie Fehler gemacht.
Sein Nachfolger Heinrich Hiesinger hat
dann versucht, die Kultur zu ändern. Das
geht aber nicht von heute auf morgen und
ist ein langer Prozess. Und inzwischen ist
auch Hiesinger schon wieder weg.
Gibt es ein Beispiel, wo so eine
Kulturveränderung geklappt hat?
Hagen:
Ja, in der Luftfahrt. Dort hat
man schon Anfang der 1980er-Jahre er-
kannt, dass die meisten Flugunfälle durch
menschliches Versagen verschuldet
waren. Daraufhin hat man ein ausgefeil-
tes Crew Resource Management einge-
führt, bei dem die Crews heute weltweit
auch umfassend in ihren Kommunikati-
onsfähigkeiten geschult werden. Wenn
ein Mitarbeiter einen Fehler bemerkt,
spielt die Hierarchie dabei keine Rolle
mehr. Das ist heute bei allen Airlines
Pflicht. Natürlich gab es bei den Kapi-
tänen anfangs großen Widerstand. Und
es hat über zehn Jahre gedauert, bis das
Konzept richtig gegriffen hat. Heute gibt
es allerdings eine durchgehende Akzep-
tanz. Auch in anderen Hochrisiko-Organi-
sationen vom Militär über Kraftwerke bis
zu Krankenhäusern wird daran gearbei-
tet, ein funktionierendes Fehlermanage-
ment zu etablieren.
Und in der Wirtschaft abseits von
Hochrisiko-Branchen?
Hagen:
Da bin ich immer auf der Suche
nach einem Unternehmen, habe aber
noch keines gefunden. Aber es gibt zu-
nehmend Anfragen von Managern, die
gerne etwas zu dem Thema machen wür-
den. Allerdings ist ihnen meist nicht klar,
was das auch für sie bedeutet. Und vor
allem ist es nicht mit ein paar Trainings
getan. Die Etablierung einer offenen Feh-
lerkultur ist ein echter Marathon.
Ändert sich die Einstellung zu Fehlern
derzeit nicht automatisch? Der Ansatz
der Agilität setzt doch darauf, seine
Strategie und Handlungen immer wieder
neu anzupassen, wenn etwas nicht
funktioniert hat ...
Hagen:
Die zunehmende Unsicherheit
führt zwar zwangsläufig zu mehr fal-
schen Entscheidungen, aber leider nicht
zu einem besseren Umgang damit. Was
meist fehlt, ist die Reflexion. Wir lernen
nicht aus unserer Erfahrung. Wir lernen
nur durch Reflexion. Hier könnte die
Wirtschaft von Hochrisiko-Organisati-
onen wie dem Militär lernen. Auch dort
müssen oftmals Entscheidungen unter
Unsicherheit getroffen werden. Aber der
große Unterschied ist, dass man sich dort
sehr stark auf das Debriefing konzen­
triert. Was ist passiert? Warum? Was hätte
ich besser machen können? Das ist oft
Jan U. Hagen.
Er ist
Associate Professor an der
ESMT European School of
Management and
Technology in Berlin.
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