wirtschaft und weiterbildung 1/2019 - page 43

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wirtschaft + weiterbildung
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Ausbildung richtig ausgewählt werden,
lässt sich nicht einfach beantworten – vor
allem, weil die Ausschluss- und Einstiegs-
kriterien hierfür, wie so oft bei der Per-
sonalauswahl und -entwicklung, nicht
immer hart messbar sind.
Coachs dürfen nicht zu
„Methodenwächtern“ werden
Zwei Beispiele: Angenommen, Sie wäh-
len als Verantwortlicher einen Mitarbeiter
aus, der in der Scrum-Methodik schon fit
ist und als Product Owner oder Scrum
Master bereits erfolgreich in Ihrer Orga-
nisation arbeitet. Dann heißt dies nicht
zwingend, dass er die Grundvorausset-
zungen für einen agilen Coach in Gänze
erfüllt, denn: Scrum ist nur eine von vie-
len Methoden in der agilen Arbeitswelt,
und der Nutzen jeder Methode hängt
auch davon ab, mit welchem Geist sie
angewendet wird. Im schlimmsten Fall
mutiert der Scrum Master zu einem Me-
thodenwächter, der zwar sklavisch auf
das Einhalten der Regeln achtet, sich
jedoch weder als Teamentwickler noch
als Coach der Mitarbeiter eignet. So hört
man von erfahrenen Scrum Mastern nicht
selten, dass sie „von dem ganzen psy-
chologischen Kram“ nichts halten – ent-
sprechend gering ist gegebenenfalls ihre
Bereitschaft zur Selbstreflexion. Ein agiler
Coach sollte jedoch anpassungs- sowie
lern- und entwicklungsfähig und vor
allem auch -bereit sein.
Angenommen nun, Sie denken, ein be-
reits ausgebildeter Coach sei die richtige
Wahl. Dann stellt sich die Frage: Steht
seiner Entwicklung zum agilen Coach
möglicherweise das verinnerlichte Credo
vieler Coachs im Weg, dass das Gegen-
über stets die Lösung in sich selbst fin-
den muss? Die Praxis zeigt oft: ja. Denn
agile Coachs müssen bei ihrer Arbeit eine
große Rollenflexibilität zeigen. Mal stehen
sie vor der Herausforderung, Mitarbeiter
oder Kollegen zu coachen und die Lösung
tatsächlich im Klienten zu suchen; mal
gilt es jedoch auch zu beraten und nicht
selten auch aktiv mitzugestalten. Zudem
sind sie oft Sparringspartner für das Ma-
nagement, wenn es darum geht, wie die
gewünschte Entwicklung vorangetrie-
ben werden kann. Deshalb brauchen
sie, neben gewissen „Macherqualitäten“,
auch Rückgrat und ein gewisses Standing
in der Organisation, sonst erleiden sie
schnell Schiffbruch.
Vorab ein Anforderungsprofil
definieren
Also sollten sich Unternehmen, bevor
sie die Teilnehmer für eine Agile-Coach-
Ausbildung benennen, intensiv mit der
Frage befassen, welche Kompetenzen
und vor allem welches Mindset ein Kan-
didat braucht, um künftig die Rolle als
agiler Coach erfolgreich auszuüben. Die
Praxis zeigt, dass hierfür unter anderem
folgende Kompetenzen beziehungsweise
Fähigkeiten wichtig sind:
• beziehungsgestaltende Kompetenzen
(zum Beispiel ausgeprägte kommuni-
kative Fähigkeiten inklusive der Fähig-
keit, Konflikte konstruktiv zu gestalten;
Team- und Kooperationsfähigkeit, ein
Agiles-Leadership-Verständnis)
• kognitive und (selbst-/emotions-) regu-
latorische Fähigkeiten (geistige Wendig-
keit, Ambiguitäts- und Frustrationstole-
ranz)
• Fähigkeit zur Selbststeuerung (zum
Beispiel das eigene Verhalten beobach-
ten, differenziert bewerten und nach-
justieren können).
Diese Fähigkeiten beziehungsweise Kom-
petenzen erleichtern es in der Praxis
unter anderem
• Ambiguitäten, also Mehrdeutigkeiten,
souverän zu begegnen
• Veränderungen offen anzugehen
• sich schnell in einen volatilen Rahmen
einzufinden, der durch wechselnde
Rollen statt durch starre (hierarchische)
Strukturen geprägt ist.
Grundsätzlich können sich alle Mitar-
beiter und Führungskräfte auf die „agile
Reise“ begeben. Wichtig ist es jedoch,
den Start- beziehungsweise Ausgangs-
punkt der Reise der potenziellen Teilneh-
mer zu kennen, um ihnen als Mensch in
ihrer individuellen Lebenswelt und per-
sönlichen Entwicklungsstufe adäquat be-
gegnen zu können.
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