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training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
01_2019
ter Linie aufgrund des Buchs „Well-Being:
The Foundations of Hedonic Psychology“,
welches er 1999 mit herausgegeben hat.
Die Positive Psychologie beschäftigt sich,
verkürzt ausgedrückt, mit positiven Phä-
nomenen des menschlichen, organisatio-
nalen und sozialen Erlebens. Die unterlie-
genden Fragen sind nicht neu, sie bewe-
gen Menschen seit Jahrtausenden:
• Was ist ein gelungenes Leben?
• Unter welchen Umständen empfinden
Menschen Emotionen wie Glück oder
Zufriedenheit?
• Welche Bedingungen müssen gegeben
sein, damit Menschen ihr Leben (oder
auch Teilbereiche – zum Beispiel ihre
Arbeit) als sinnvoll empfinden?
Das Neue ist demnach nicht ihr thema-
tischer Schwerpunkt, sondern die An-
wendung von empirisch-datengestützter
Forschungsmethodik zur Untersuchung
dieser Fragestellungen – in Abgrenzung
beispielsweise zur Philosophie oder Re-
ligion, in deren Rahmen ähnliche Fra-
gen behandelt werden, aber naturgemäß
nicht datenbasiert.
Was war die Triebfeder hinter der Ent-
wicklung der Positiven Psychologie?
Seligman wurde 1998 zum Präsidenten
der American Psychological Association
(APA) gewählt, dem weltweit einfluss-
reichsten Verband von praktizierenden
und forschenden Psychologen. In seiner
Antrittsrede forderte er die Ausgestaltung
einer Positiven Psychologie, welche auf
die positiven Phänomene des menschli-
chen Erlebens fokussiert. Ich zitiere im
Folgenden aus einem Beitrag in der Fach-
zeitschrift „American Psychologist“ (Se-
ligman, M. E. P. & Csíkszentmihályi, M.
(1998): „Positive psychology: An intro-
duction“, American Psychologist, 55(1),
5-14):
• „Ziel der Positiven Psychologie ist es,
Katalysator für eine Verschiebung der
Aufmerksamkeit innerhalb der Psy-
chologie zu sein, weg von der reinen
Beschäftigung mit der Reparatur der
schlimmsten Dinge im Leben und hin
zur Ausbildung von positiven Zustän-
den.“
• „Auf dem subjektiven Level geht es um
wünschenswerte persönliche Erfahrun-
gen: Wohlergehen, Glücksempfinden
und Zufriedenheit mit der Vergangen-
heit; Optimismus für die Zukunft; Flow
und Erfülltsein in der Gegenwart.“
• „Auf dem individuellen Level geht es
um wünschenswerte individuelle Ei-
genschaften: die Kapazität für Liebe
[…], Mut, zwischenmenschliche Fähig-
keiten, ästhetische Sensibilität, Beharr-
lichkeit, Vergebung, Kreativität, […],
Spiritualität, Hochbegabung und Weis-
heit.“
• „Auf der sozialen Ebene geht es um
bürgerliche Tugenden und Institutio-
nen, die die Ausbildung derselben in
Individuen fördern: Verantwortungs-
bewusstsein, […], Altruismus, Höflich-
keit, Selbstbeherrschung, Toleranz und
Fleiß.“
Tatsache ist, dass – klammert man Felder
wie beispielsweise die Eignungsdiagnos-
tik aus – die akademische Psychologie
in den ersten 100 Jahren ihres Bestehens
in erster Linie eine „Weg-von“-Disziplin
war. Es ging vorrangig darum, negative
Phänomene des menschlichen Lebens
(sprich: als einschränkend oder uner-
Dieser Beitrag bietet einen grundlegenden
Einblick in die Positive Psychologie und
ihre Entstehungsgeschichte. Danach wer-
den insbesondere folgende Kritikpunkte
an der Positiven Psychologie aufgegriffen:
• Die Positive Psychologie sei unwissen-
schaftlich.
• Sie fördere Egoismus und propagiere,
dass es im Leben vor allem um den per-
sönlichen Erfolg gehe.
• Sie verleite Menschen zur Schönfärbe-
rei.
• Sie propagiere die Überlegenheit einer
religiösen Lebensweise.
• Sie fördere ein calvinistisch-kapitalisti-
sches Lebensverständnis.
Mir persönlich wird in den Texten – wenn
auch nur andeutungsweise – in den
Mund gelegt, ich würde in meinen Vor-
trägen zu Mobbing aufrufen und außer-
dem bestreiten, dass Erholungsphasen
ein wichtiger Bestandteil einer gesunden
Arbeitskultur sind. Zudem wird moniert,
dass ich Menschen zu einem bewussteren
Medienkonsum aufrufe.
1 Einführung in die Positive
Psychologie
Die Positive Psychologie entstand im
Laufe der 1990er-Jahre als Teildisziplin
der akademischen Psychologie. Zu ihren
Gründervätern gehören Martin Seligman
und Ed Diener. Beide werden in Studien
regelmäßig zu den zehn wichtigsten ak-
tiven Psychologieprofessoren gezählt.
Auch der Nobelpreisträger für Wirt-
schaftswissenschaften von 2002, Daniel
Kahneman, wird zu den Wegbereitern
der Positiven Psychologie gezählt, in ers-
„Positive Psychologie steht für
realistischen Optimismus“
REPLIK.
In zwei Artikeln in unserem Septemberheft (2018) haben wir uns kritisch mit der
„Positiven Psychologie“ und ihrem Mitbegründer, Prof. Dr. Martin Seligman, auseinander-
gesetzt. Das blieb nicht ohne Widerspruch. Einer lebendigen Debatte allzeit aufgeschlos-
sen lassen wir hier Dr. Nico Rose, laut „Harvard Business Manager“ einer der führenden
Experten für Positive Psychologie in Deutschland, mit einer Replik zu Wort kommen.
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