wirtschaft und weiterbildung 1/2019 - page 48

training und coaching
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wirtschaft + weiterbildung
01_2019
Community naturgemäß auch getan
wird), aber einer ganzen Disziplin pau-
schal mangelnde Seriosität vorzuwerfen,
klingt für meine Ohren vermessen.
Vorwurf 2:
Egoismus
Die Aussagen sind unzutreffend. Spätes-
tens seit 2011 verwendet Martin Seligman
das Akronym PERMA (Positive Emotions,
Engagement, Relationships, Meaning,
Accomplishment), um die thematischen
Schwerpunkte der Positiven Psycholo-
gie als Disziplin zusammenzufassen. In
den Texten, auf die ich mir hier beziehe,
wird somit verschwiegen, dass die Erfor-
schung von gelungenen Beziehungen zu
anderen Menschen demnach ein elemen-
tarer Baustein der Positiven Psychologie
ist. Zudem wird das Ziel der Positiven
Psychologie irrtümlich auf persönlichen
Erfolg reduziert, während in PERMA
angelegte Aspekte wie Sinnerleben und
Engagement für die Gemeinschaft unter-
schlagen werden.
Es ist durchaus zutreffend, dass sich ein
nicht geringer Teil der Forschungsarbei-
ten zuvorderst mit der persönlichen Zu-
friedenheit von Menschen beschäftigt.
Das hat allerdings methodische Gründe,
keine ideologischen. Es ist schlicht und
ergreifend wesentlich leichter (und kos-
tengünstiger), größere Stichproben von
Einzelpersonen zu befragen oder zu be-
obachten als Gruppen oder erweiterte
Systeme von Menschen. Insbesondere in
jüngeren Untersuchungen bemühen sich
viele Positive Psychologen, diesen Blick-
winkel zu erweitern und das systemische
Element des subjektiven Wohlbefindens,
also das Zusammenspiel und die Wech-
selwirkungen mit dem Wohlbefinden an-
derer Menschen, zu ergründen.
Vorwurf 3:
Schönfärberei
An dieser Stelle wird deutlich, dass die
Autoren der eingangs genannten Artikel
Deskription und Präskription verwech-
seln – oder zumindest unterstellen, dass
beschreibende Forschung automatisch
zu einer Änderung unseres Verhaltens
aufriefe. Martin Seligman hat die ers-
ten 25 Jahre seines Lebens als Forscher
damit verbracht, verschiedene Faktoren
zu erforschen, die dem Entstehen von
Depressionen Vorschub leisten. Erst als
arrivierter Forscher hat er sich nach und
nach einer entgegengesetzten Perspek-
tive verschrieben und beispielsweise ver-
sucht zu verstehen, wie Menschen eine
optimistische Denkhaltung entwickeln
können (unter anderem, weil diese einen
Schutzfaktor gegen Depressionen dar-
stellt). Er fordert Menschen jedoch nicht
auf, mit einer rosaroten Brille durch die
Gegend zu laufen. Stattdessen propagiert
er einen „realistischen Optimismus“, wel-
cher dazu anleitet, nach Möglichkeit „das
Beste“ aus einer gegebenen Situation
zu machen. Seligman selbst nennt sich
in Vorlesungen im Übrigen regelmäßig
„depressiv“ oder „depressiv in Remis-
sion“. Er bezeichnet sich außerdem des
Öfteren als „grumpy“ (übellaunig) – was
ich aus dem persönlichen Kontakt mit
ihm im Rahmen meines Studiums an der
University of Pennsylvania in den Jahren
2013/14 bestätigen kann. Er wäre der
Letzte, der Menschen aktiv auffordern
würde, mit einem Dauergrinsen durch die
Welt zu spazieren.
Vorwurf 4:
Ideologische Prägung
(religiös-konservativ)
Martin Seligman ist nichtpraktizieren-
der Nachkomme jüdischer Eltern und
bezeichnet sich als Atheisten. In seiner
kürzlich erschienenen Autobiografie (The
Hope Circuit) schildert er zudem empha-
tisch, wie er als Kind von christlichen
(beziehungsweise allgemein sozial höher
gestellten) Familien sowie Institutionen
gemobbt wurde. Dass er fundamenta-
len Strömungen in irgendeiner Art und
Weise besonders zugeneigt sein soll, ge-
hört somit ins Reich der Mythen. Zudem
zeigen Statistiken, dass die Professoren-
schaft an amerikanischen Universitäten,
insbesondere auch im Bereich der Psy-
chologie, dezidiert linksliberal geprägt ist.
Es erscheint dahingehend unglaubwür-
dig, dass sich ausgerechnet in der Positi-
ven Psychologie besonders viele konser-
vativ-religiöse Forscher tummeln sollen.
Zutreffend ist, dass das Thema Religiosi-
tät von einigen Forschern innerhalb der
Positiven Psychologie näher beleuchtet
wird, weil sich in Studien zeigt, dass re-
ligiöse Menschen (konkret: solche, die
auch tatsächlich aktiv praktizieren), im
Mittel zufriedener mit ihrem Leben sind
und eine etwas höhere Lebenserwartung
haben. Bei der Bewertung dieses Aspekts
der Positiven Psychologie verwechseln
die Autoren der eingangs genannten Bei-
träge allerdings erneut Deskription und
Präskription. Die Forschung zeigt be-
schreibend die „positiven Nebenwirkun-
gen“ von aktiv gelebter Religiosität auf
und versucht die „wirksamen Bestand-
teile“ besser zur verstehen (zum Beispiel
den sozialen Zusammenhalt innerhalb
einer Gemeinde). Positive Psycholo-
gen fordern Menschen jedoch nicht auf,
religiös(er) zu werden.
Vorwurf 5:
Ideologische Prägung
(neoliberal-wirtschaftsfreundlich)
Diese Zuschreibung bezieht sich im
Schwerpunkt auf ein System von 24 Cha-
rakterstärken, das bereits zu Anfang der
Positiven Psychologie beschrieben wurde
– und für welches ein entsprechen-
der Test entwickelt und validiert wurde
(siehe:
s wird
moniert, dass im Rahmen dieses Tests
wirtschaftsfreundliche Qualitäten wie
Fleiß und Ehrgeiz überrepräsentiert seien.
Dies ist nicht zutreffend.
Jene Stärken stehen konzeptuell wie auch
in der mathematischen Struktur des Test-
verfahrens auf gleichesHöhe mit Aspek-
ten wie Humor, Bescheidenheit, Dankbar-
R
Dr. Nico Rose
ist Diplom-Psycho-
loge und wurde an
der EBS Business
School in BWL
promoviert. Zusätzlich hat er ein Mas-
terstudium in angewandter Positiver
Psychologie an der University of Penn-
sylvania abgeschlossen. Er lernte dort
direkt bei Martin Seligman, dem Mit-
begründer der Positiven Psychologie.
Rose arbeitete bis Ende 2018 als Vice
President im Stab des Personalvor-
stands einer internationalen Medien-
gruppe. Gegenwärtig befindet er sich
in einem Sabbatical, um ein Buch über
Positive Psychologie in Organisatio-
nen fertigzustellen.
Dr. Nico Rose
Elchstr. 5, 59071 Hamm
AUTOR
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