wirtschaft und weiterbildung 1/2019 - page 55

wirtschaft + weiterbildung
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vor, mit einer Sensibilisierungskampagne
zu beginnen, die den Menschen zeigt,
was ein moderner Lernansatz für sie be-
deutet. Die Personalentwicklung kann
den Weg weisen, aber am Ende erwarten
die Mitarbeiter Autonomie und Flexibili-
tät. Viele Menschen leben in ihrer eige-
nen kleinen Welt. Natürlich gibt es keine
einheitliche Herangehensweise. Einige
Leute wissen nicht, wo sie anfangen und
suchen sollen. Sie brauchen mehr Unter-
stützung durch die Personalentwicklung.
Jedes Unternehmen hat seine individuel-
len Bedürfnisse. Es gibt kein Rezeptbuch,
da muss jede Organisation Kreativität an
den Tag legen.
Studien zeigen, dass die Halbwertzeit
von Wissen dramatisch abnimmt. Nach
welchen Kriterien sollen die
Unternehmen entscheiden, welches
Wissen ihre Mitarbeiter benötigen?
Hart:
Wissen ist schnell veraltet. Vor
einem Jahrhundert dauerte es rund 35
Jahre, bis die Hälfte des Wissens, das
ein Ingenieur an der Hochschule gelernt
hat, korrigiert oder ersetzt wurde. In den
1960er-Jahren schrumpfte diese Zeit-
spanne auf ein Jahrzehnt. Nach neuen
Schätzungen liegt die Halbwertzeit eines
Ingenieurstudiums zwischen 2,5 und fünf
Jahren. Die Grundlagen bleiben erhalten,
aber andere Dinge entwickeln sich weiter.
Wer sich nicht mitentwickelt, wird seinen
Job bald nicht mehr erfüllen können.
Wird der Performance Support am
Arbeitsplatz das Lernen ersetzen?
Hart:
Es gibt eine Verschiebung von Kur-
sen zu Ressourcen, die das On-demand-
Lernen unterstützen. Ein Video anzu-
schauen, um ein konkretes Problem zu
lösen, ist weitaus flexibler und kosten-
günstiger als die Schulung von Hunderten
von Menschen im Klassenzimmer.
In Ihrem Buch „Modern Workplace
Learning 2019“ erwähnen Sie ein mehr-
stufiges Leben. Was meinen Sie damit
und was hat das mit Lernen zu tun?
Hart:
Früher bestand eine Karriere aus
drei Stufen: Ausbildung, Arbeit, Ruhe-
stand. In Zukunft werden wir ein mehr-
stufiges Leben führen: Wir arbeiten nach
der Ausbildung als Festangestellter oder
Freiberufler, in Voll- oder Teilzeit, und wir
wechseln sogar mehrfach in unserem Ar-
beitsleben unseren Karriereweg. Für Un-
ternehmen ist es oft billiger, Mitarbeiter
für bestimmte Jobs oder Projekte einzu-
stellen, als die eigenen Mitarbeiter wei-
terzubilden.
Welche Lernpräferenzen haben die
Mitarbeiter selbst?
Hart:
Seit 2011 führe ich jedes Jahr eine
Umfrage durch, in der es genau um diese
Frage geht. In der Umfrage von 2018 hal-
ten 94 Prozent der Befragten das Lernen
aus ihrer täglichen Arbeit heraus für sehr
wichtig oder wichtig, gefolgt vom Wis-
sensaustausch im Team und der Web-
suche. Nur 29 Prozent finden klassische
Schulungen sehr wichtig oder wichtig.
Präsenzschulungen stehen an letzter
Stelle. Ich war selbst überrascht, wie un-
wichtig sie eingestuft werden. Eigentlich
legen die meisten Personalentwickler
wenig Wert auf klassische Schulungen
und E-Learning – doch genau das ist ihre
Aufgabe. Ein Kollege meinte, dass viele
Schulungen nur durchgeführt werden,
um gesetzliche Vorgaben zu erfüllen.
Interview: Katharina Steffens
Foto: Pichler
Jane Hart.
Auf der Learn-
tec 2015 begeisterte Hart
als Keynote-Rednerin ihr
Publikum mit Ratschlägen,
wie man individueller und
informeller lernen kann.
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