wirtschaft und weiterbildung 1/2019 - page 34

personal- und organisationsentwicklung
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wirtschaft + weiterbildung
01_2019
ausgeschlossen und isoliert. Wer diese
Dynamik kennt, kann sie aber auch ge-
zielt nutzen. So kann eine Führungskraft
zum Beispiel in jedem Teammeeting eine
andere Person ernennen, die nur die Auf-
gabe hat, alles infrage zu stellen. Das ist
natürlich keine dankbare Rolle. Aber so
erlebt jeder am eigenen Leib, welche Dy-
namik abläuft. Dabei muss die Führungs-
kraft natürlich die Person schützen, wenn
die Gruppe auf sie einprügelt. Das ist also
eine Frage der Steuerung.
In Ihrem Buch beschreibt die Professorin
für Wirtschaftspsychologie an der ETH
Zürich, Gudela Grote, wie man im Unter-
nehmen gezielt Unsicherheit schafft, um
die Organisation weiterzubringen …
Hagen:
Das ist ein interessanter Ansatz.
Man verunsichert die Mitarbeiter, um die
Richtigkeit ihrer Handlungen zu überprü-
fen. So könnte man zum Beispiel gegen-
über dem Verkaufsteam die Analyseda-
ten infrage stellen, die die Grundlage für
ihre Aktivitäten bilden. Wenn man nicht
weiß, ob die Daten stimmen, muss man
seine Sichtweise erweitern und kommt
vielleicht zu ganz neuen Lösungen. Aber
das funktioniert natürlich nicht in jedem
Unternehmen.
Müssten Führungskräfte den offenen
Umgang mit Fehlern nicht vorleben?
Hagen:
Sie können mit ihrem Verhalten
Hierarchien sicher ein Stück neutralisie-
ren. Leider umgeben sich viele Führungs-
kräfte noch immer mit dem Nimbus der
Unfehlbarkeit. Sie leugnen ihre Fehler,
vertuschen sie oder schieben die Schuld
auf andere. Das sind natürlich alles mehr
oder weniger neurotische Verhaltens-
weisen, die letztlich vor allem aus Angst
entstehen, als Versager dazustehen.
Führungskräfte müssen daher bei ihrem
Umgang mit Fehlern grundlegend um-
Hierarchien gelten als wesentliches
Hindernis dafür, dass Mitarbeiter
frühzeitig Fehler melden. Heute ist
überall die Rede vom Abbau der
Hierarchien und Empowerment der
Mitarbeiter. Verbessert sich damit auch
automatisch das Fehlermanagement?
Prof. Dr. Jan U. Hagen:
Das wäre schön,
ist aber nicht so. Hierarchien existieren
nicht nur formal. Daneben gibt es immer
auch informelle Hierarchien, etwa nach
Geschlecht, Alter und Erfahrung. Gerin-
gere Hierarchien helfen sicher ein Stück,
lösen aber nicht das Problem. Es ist nicht
nur der Angstfaktor, der Mitarbeiter
davon abhält, Fehler zu melden. Es kann
auch sein, dass man sich zurückhält, weil
man sich nicht für kompetent genug hält,
Zweifel zu äußern. Oder man fühlt sich
– zum Beispiel in einem kleinen Start-
up – gut aufgehoben und will das Unter-
nehmen nach vorn bringen. Deshalb sagt
man lieber nichts.
Dann verhindert also der viel
beschworene Teamspirit ein gutes
Fehlermanagement?
Hagen:
Unter bestimmten Bedingungen
neigen Teams zu starkem Gruppenden-
ken. Sie bestätigen sich gegenseitig und
entwickeln eine Sichtweise, die nicht
mehr die Realität widerspiegelt. Dann
braucht man so etwas wie einen Advoca-
tus Diaboli, der das Team herausfordert.
Allerdings wird so ein Abweichler schnell
„Scheitern ist nur okay,
wenn ich daraus lerne“
FEHLERMANAGEMENT.
Im November trafen sich internationale Führungskräfte und
Wissenschaftler an der ESMT Business School in Berlin zur 4. Konferenz über Fehler­
management in Organisationen. Bärbel Schwertfeger sprach mit dem ESMT-Professor und
Organisator Jan U. Hagen darüber, warum trotz Hierarchieabbau der Umgang mit Fehlern
nicht besser wird.
Foto: ESMT
„Im Volkswagenkonzern hat jeder versucht, sich mit
Nicht-wissen-Wollen zu retten.“
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