wirtschaft und weiterbildung 1/2019 - page 26

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wirtschaft + weiterbildung
01_2019
titelthema
arbeiten. Die Implikationen für Manage-
ment und Leadership waren nicht mehr
theoretisch und spekulativ, sondern ganz
nah an der Wirklichkeit. „Cimon“ war in
der Lage, das Gesicht von Gerst zu su-
chen und Augenkontakt aufzunehmen.
Als Demonstration seiner Assistenzfä-
higkeiten zeigte „Cimon“ auf seinem
„Gesicht“, einem Display in der Mitte der
Kugel, die Anleitung für ein Experiment
zur Kristallbildung. Er nahm mit sei-
nen integrierten Kameras ein Video und
ein Foto von Gerst auf. Zum Abschluss
brachte Gerst „Cimon“ wieder an seinen
Platz im Columbus-Modul zurück. „Es ist
ein unglaubliches Gefühl und eine wahn-
sinnige Freude, zu erleben, dass „Cimon“
wirklich sieht, hört, versteht und spricht.
Dieser erste echte Einsatz im All bedeutet
für uns ein Stück Raumfahrtgeschichte
und stellt den Beginn für einen hoffent-
lich langen Einsatz auf der ISS dar“, fasst
Karrasch den Erfolg des Projekts zusam-
men: „Die Interaktion mit einer künst-
lichen Intelligenz fasziniert mich. Wir
betreten hier Neuland und erweitern den
technologischen Horizont in Deutsch-
land.“
Echte Partnerschaft zwischen
Mensch und Maschine
Auf dem Akademie Summit diskutierte
Karrasch mit den Teilnehmern auch die
Frage, wie diese neue Partnerschaft zwi-
schen Mensch und Maschine die Rollen,
Aufgaben und Herausforderungen für
Führung verändern kann. Roboter kön-
nen Menschen nicht nur zur Hand gehen,
sondern auch Stress reduzieren, weil sie
die Arbeit erleichtern. Ihre Aufgaben wer-
den vielleicht noch wichtiger, wenn der
Mensch eines Tages auf dem Weg zum
Mars ist: „Wissenschaftler wissen noch
nicht, was es mit den Menschen macht,
wenn auf einer rund zwei Jahre dauern-
den Reise sich die Erde immer weiter aus
dem Blickfeld entfernt. Wie gehen Men-
schen mit dieser außergewöhnlichen Situ-
ation von physischer Isolation um?“ Viel-
leicht sind es dann die Worte und Sätze
aus dem Sprachmodul, die Beistand und
Unterstützung bieten. Richtig menschlich
klingt „Cimon“ bereits heute. Weil sein
Gehirn, die Rechner und Speicher, auf
der Erde stationiert sind und ihre Signale
erst ins All transportieren müssen, kann
„Cimon“ nur mit ein bis drei Sekunden
Verzögerung antworten. Die kurzen Mo-
mente der Sprachlosigkeit überbrückt er
mit Floskeln, Füllwörtern und Ähmmms.
Wird ihm eine Frage gestellt, wandelt
seine künstliche Intelligenz, die auf dem
Computerprogramm Watson von IBM
aufbaut, dieses Audiosignal zunächst in
Text um, der von der KI verstanden be-
ziehungsweise interpretiert wird. IBM
Watson versteht die Inhalte in ihrem
Kontext erkennt auch die damit verbun-
dene Intention. So erzeugt Watson eine
passgenaue Antwort, die wiederum in
Sprache umgewandelt und wieder an die
ISS zurückgeschickt wird. Gerst konnte
sich auf der ISS also wirklich unterhal-
ten. Wissenschaftler beschreiben diesen
Moment als „natürlichen, dynamischen
Sprachdialog.“
„Big Data ist längst im Unter-
nehmensalltag angekommen“
Nach dem Ausflug ins All holte der
Münchner Ökonom Daniel Mühlbauer
die Summit-Teilnehmer schnell und lo-
cker wieder auf den Boden der täglichen
HR-Arbeit zurück. Er ist Mitbegründer
des Start-ups „Function HR“, das Un-
ternehmen dabei hilft, HR-Prozesse mit-
hilfe von People Analytics zu verbessern
und bessere Entscheidungen zu tref-
fen – von Rekrutierungsprozessen über
Talent-Management-Lösungen bis zum
Entlassungsmanagement. Er ermuntert
Personalverantwortliche, die Scheu vor
Begriffen wie People Analytics zu ver-
lieren: „Big Data ist längst da. In jedem
Unternehmen liegen an verschiedenen
Stellen Daten vor, die, wenn sie richtig
gesammelt und interpretiert werden,
viele Aufschlüsse für die Ausrichtung der
Personalarbeit und die Verbesserung von
Arbeit liefern“.
People Analytics: „Pi mal
Daumen“ hat ausgedient
Allerdings müssen HR-Manager auch ihre
Neigung, Strategien nach der Devise „Pi
mal Daumen“ zu entwickeln, aufgeben.
„KI-basiertes HR-Management nutzt Al-
gorithmen, um aus Daten der Vergan-
genheit Ableitungen für die Zukunft zu
entwickeln.“ Wer es so auf den Punkt
bringt, nimmt Personalern die Angst vor
den Neuerungen, die People Analytics
mit sich bringt. Voraussetzung: „Man
muss den Zahlen auch Glauben schen-
ken können und wissen, worauf sie sich
beziehen.“ Ein bisschen Beschäftigung
mit den Grundlagen der Statistik sei nicht
verkehrt. Das gebe mehr Sicherheit und
Handlungsfreiheit: „Bevor ich messe und
analysiere, muss ich mich fragen, welches
Problem ich lösen will.“ Eins sei nämlich
allen Missverständnissen und Befürch-
tungen zum Trotz immer noch nicht
möglich: „Mit Statistik lässt sich nur eine
wahrscheinliche, aber keine sichere Zu-
kunft vorhersagen.“
Lars-Peter Linke
R
Alexander Gerst (rechts).
Er ist der erste deutsche Kommandant auf der Welt-
raumstation ISS und der erste Deutsche, der mehr als 350 Tage im All verbrachte.
Foto: ESA/NASA
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