wirtschaft und weiterbildung 1/2019 - page 20

titelthema
20
wirtschaft + weiterbildung
01_2019
04.
Nachteil:
keine mit allen Sinnen
erfahrbare, persönliche
Begegnung im Hier und Jetzt
05.
Nachteil:
künstliche Intelligenz
liefert keine kreative Irritation
und hat keinen Humor
06.
Nachteil:
Menschen finden
„gespielte“ Empathie absto-
ßend und lehnen Roboter ab
R
manchmal selbst, zu welchen Ergebnis-
sen ich komme, wenn ich über den Coa-
ching-Markt nachdenke“, erklärte Rauen.
Ein Teil der derzeit aktiven Business
Coachs werde den Wandel des Markts
wohl nicht überleben – besonders, wenn
man sich als Coach überwiegend auf der
Ratgeberebene bewege.
Als Beleg für seine Einschätzung verwies
Rauen auf die Erfolge, die offenbar bereits
in der Psychotherapie mit künstlicher In-
telligenz gemacht werden. Er stellte im
Laufe seines Vortrags die Plattform „Sim-
coach.org“ vor, die vom „Institute for
Creative Technologies“ der University of
Southern California in Los Angeles für die
US-Streitkräfte entwickelt wurde.
Künstliche Intelligenz lernt
ohne menschliches Zutun
Bei „Simcoach.org“ kann sich ein Sol-
dat, der psychologische Hilfe benötigt, in
einem virtuellen Raum mit einem Avatar
unterhalten, der ihm zum Beispiel bei
depressiven Gefühlen mit Rat zur Seite
steht. „Unterhalten“ heißt, dass der Rat-
suchende eine Frage in ein dafür vorgese-
henes Feld tippt. Der Avatar antwortet mit
einer menschlichen Stimme. Seine Aussa-
gen werden durch eine stimmige Gestik
und Mimik unterstrichen.
Natürlich werden Avatare noch lange
nicht die Fähigkeit haben, aufgrund eige-
ner neuronaler Netze ganz aus sich he-
raus passende Sätze zu formulieren, aber
sie können sich an Gesprächen mit einer
Fülle von Gesprächsbausteinen beteili-
gen, die man ihnen einprogrammiert hat.
Es fehlt aber so etwas wie ein gesunder
Menschenverstand, irgendeine Form von
allgemeiner Intelligenz.
Je öfter ein Avatar mit einem Ratsuchen-
den interagiert, desto besser wird er in
der Auswahl des passendsten Bausteins.
Merkmal der künstlichen Intelligenz ist
es, dass diese Form des Lernens automa-
tisch nur durch Feedbackschleifen, ohne
„Normale“ Business-Coachings werden
bald nur noch von Robotern durchge-
führt werden, prophezeit Dr. Christopher
Rauen (Foto auf der Titelseite). Rauen
ist nicht irgendwer, sondern der 1. Vor-
sitzende des Deutschen Bundesverbands
Coaching e. V. (DBVC), der es für nötig
hält, seine Branche jetzt „aufzuwecken“
und auf rasante Veränderungen hinzu-
weisen. Bei der Eröffnung des 4. DBVC
Coaching-Kongresses Anfang November
2018 in Potsdam machte er darauf auf-
merksam, dass Coaching-Apps in Zukunft
so selbstverständlich sein werden wie der
Instant-Messaging-Dienst „Whatsapp“.
Das liege daran, dass die künstliche Intel-
ligenz (KI) in den letzten Jahren so erfolg-
reich weiterentwickelt worden sei, dass
zumindest einfache Coaching-Gespräche
komplett von einem Roboter bewältigt
werden könnten.
Bricht das untere Drittel des
Coaching-Markts weg?
Dank künstlicher Intelligenz könnte eine
Software das Problem eines Ratsuchen-
den durch gezielte Fragen analysieren, in
ein logisches Modell einordnen und meh-
rere intelligente Lösungsvorschläge unter-
breiten sowie die Umsetzung einer (vom
betroffenen Menschen ausgewählten)
Lösung Schritt für Schritt durch regelmä-
ßiges Nachfragen begleiten. Zumindest
das „untere Drittel“ des heutigen Coa-
ching-Markts werde wegbrechen, denn
eine Coaching-Software könne viel billi-
ger arbeiten als ein menschlicher Coach.
Bei dem zu erwartenden enormen Preis-
vorteil würden die Unternehmen sogar
hinnehmen, dass die Coaching-Qualität
einer Maschine in Teilbereichen noch
nicht perfekt sei. „Mich erschreckt es
Dr. Albert „Skip“ Rizzo.
Der Director of Medical Virtual Reality am Institute for
Creative Technologies der University of Southern California entwickelte „Simcoach“.
Fotos: USC Institute for Creative Technologies
1...,10,11,12,13,14,15,16,17,18,19 21,22,23,24,25,26,27,28,29,30,...68
Powered by FlippingBook