Wirtschaft und Weiterbildung 4/2019 - page 41

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wirtschaft + weiterbildung
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richten werden, korrespondiert mit der
Vorstellung von Beratern, dass man den
Kunden verändern könnte. Das mag den
eigenen Großartigkeitswünschen dienen,
hat aber mit Beratung nichts zu tun. Be-
ratung hat es in der Hand, zu ergründen,
welche Situation beim Kunden vorliegt,
wie er sie herstellt, warum er an ihr
festhält und aufzuzeigen, welche wahr-
scheinlichen Folgen dies hat. Erst dann
kann ein Berater auch feststellen, ob ein
Kunde sich auf Beratung wirklich einlas-
sen will oder kann und ob er selbst der
für diese Situation passende Berater ist.
Argument 2:
Wer weiß, was für den
Kunden gut ist und was er zu tun hat,
ist (schlechter) Lehrer, aber kein
Berater.
Warum? Beratung lebt davon, dass die
Selbstorganisation und Selbststeuerung
des Klienten sich verändert. Wenn nun
aufgrund fremden Wissens der Kunde
seine eigene Steuerung aufgibt und es so
macht, wie es „State of the Art“ ist oder
wie man „richtig kommuniziert“, dann
bricht der Unterschied zwischen Berater
und Klient zusammen. Der Klient wird
zum ausführenden Organ. Er entdeckt
nichts Eigenes mehr, sondern macht es
so, wie der oder die Berater es wollen.
Diese sind dann fallweise zufrieden oder
unzufrieden mit dem Kunden. Am Ende
lassen sie zwangsläufig den Kunden al-
lein, der nächste wartet ja. Ein solcher
Prozess entmündigt den Kunden, raubt
die Eigenmotivation, reduziert das Selbst-
vertrauen und vor allem raubt er die
Selbstkenntnis. Der Kunde hat im Bera-
tungsprozess nicht für sich entdeckt, wie
er seine Probleme hergestellt hat oder wie
er sich selbst im Wege gestanden war. Er
hat stattdessen einen Berater, den er toll
findet.
Argument 3:
Wer sich ungeprüft den
Zielen verschreibt, die der Kunde
anstrebt, ist Dienstleister, aber kein
Berater.
Wenn Kunden in Schwierigkeiten sind,
muss man als Berater davon ausgehen,
dass sich diese Schwierigkeiten auch
darauf auswirken, worin der Kunde
seine Probleme sieht und worin er die
Lösung vermutet. Agiles Arbeiten ma-
chen nun alle, also wird es richtig sein
und ich brauche einen Berater, der die-
sen Arbeitsstil nun in die Organisation
trägt. Der „agile Coach“ verspricht dem
Kunden, dass er von der selbstgewähl-
ten Zielsetzung viel versteht und wird
deshalb beauftragt. Der Kunde erwartet
nicht, dass der Berater die ausgesuchte
„Medizin“ infrage stellt oder gar verwei-
gert („Das würde Ihnen vermutlich mehr
schaden als nutzen!“). Auch in diesem
Fall kommt also keine Beratungsbezie-
hung auf Augenhöhe zustande, sondern
ein Beauftragungsverhältnis, in dem der
Kunde (allein) sagt, wo es langgeht. Ak-
zeptiert man als Berater das, ist es natür-
lich leicht, Versprechungen zu machen.
Aber man geht das immense Risiko ein,
die Selbstdiagnose des Kunden zu über-
nehmen. Und welcher agile Coach wird
dem Kunden sagen, dass Agilität falsch
für ihn ist? Oder andersherum: Wenn ein
Patient zum Arzt geht, damit ihm der das
Medikament verschreibt, das er toll fin-
det und der Arzt das tut – hat der Patient
dann noch einen Arzt?
Konsequenzen:
Beratung muss es dem-
nach aushalten, dass weder der Berater
noch der Kunde am Anfang wissen kön-
nen, was der Fall ist und was hilfreich
sein könnte. Für den Wert dieser Unge-
wissheit und der aus ihr folgenden Such-
bewegungen glauben Kunden oft keine
Zeit zu haben. Das mindert nicht gerade
die Herausforderung, ein Beratungsange-
bot anschlussfähig zu gestalten. Zudem
– wer als Berater weiß, dass am Anfang
weder der Kunde noch er selbst sicher
sein kann, worin das Problem besteht
und erst recht, welche Ziele angestrebt
werden sollten, hat eine weitere Hürde zu
nehmen. Man kommt dann meist recht
schnell in die Lage, vom Kunden lieb ge-
wonnene („Das wollten wir nicht infrage
stellen!“) und identitätsnahe („So sind
wir!“) Ansichten oder Gewohnheiten zu
konfrontieren.
Da ist kompetente Beratung in der glei-
chen Schwierigkeit wie ein kompetenter
Arzt, der sich auch leichter tun würde,
eine Pille zu verschreiben, statt richtiger-
weise zu sagen „Du musst Dein Leben
ändern und Dich mehr bewegen!“ Lang-
fristig ist dennoch die Kundenzufrieden-
heit signifikant meist höher. So ist die
Beraterwahl des Kunden ein nicht zu un-
terschätzender Faktor. Man hat ja keinen
direkten Einfluss auf die Kriterien, nach
denen Kunden Beratung auswählen und
Foto: olly / AdobeStock
Belohnungen in die Anpassung zwingen
oder durch Angst vertreiben. Aber man
kann sie nicht dahin bringen, wohin diese
nur aus eigener Einsicht und Willen kom-
men können. Diese Einsicht war im Zuge
der Verbreitungen von systemischem
Denken schon mal mehr in der Branche
akzeptiert.
Schaut man sich aber die Versprechungen
auf den Webseiten an, findet man unzäh-
lige Aussagen, die dazu im Widerspruch
sind und Kunden suggerieren, dass man
verlässlich Ziele erreichen kann, wenn
man nur einen Auftrag erteilt. Die Idee
vieler Kunden, dass es die Berater schon
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